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Warum Krankheitseinsicht schwer, aber wichtig ist

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Kunstraum
     Foto_Kunstraum_1_© Sigrid Wiedemann

Eine psychiatrische Diagnose zu akzeptieren, ist oft noch schwerer als eine körperliche Erkrankung anzunehmen. Betroffene schämen sich und fürchten Stigmatisierung. Das erschwert die Krankheitseinsicht und das Gelingen der Therapie. Die Arbeit mit Bildern kann dabei helfen, unbewusste Gefühle zu Tage zu fördern und eine Erkrankung besser anzunehmen. Wie, das erläutern die Kunsttherapeutinnen Sigrid Wiedemann und Eva Winterfeld von der kbo-Lech-Mangfall-Klinik in Oberbayern. 

„Ich kann ja nur nicht schlafen!“, „Ich habe nur ständig Kopfschmerzen!“, „Ich hab' doch nur immer Schluckbeschwerden!“ Sätze wie diese können darauf hindeuten, dass Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie Schwierigkeiten haben, ihre Diagnose zu akzeptieren. „Es ist ein Prozess und manche Menschen brauchen mehr Zeit dafür als andere“, erklärt Eva Winterfeld, Kunsttherapeutin an der kbo-Lech-Mangfall-Klinik in Landsberg am Lech. „Zudem hängt es von der Art der Erkrankung ab“, fügt ihre Kollegin Sigrid Wiedemann hinzu. „Hat jemand eine bipolare Störung oder eine Schizophrenie ist das gravierender als eine leichte depressive Episode.“ Manchmal fehle auch das Wissen um die Symptome einer psychischen Erkrankung, wie etwa Schluckbeschwerden während einer Depression. Und schließlich seien manche zum ersten Mal stationär in der Psychiatrie und täten sich schwer, das Haus überhaupt zu betreten und mit dem „Stempel der Stigmatisierung“ klarzukommen.

 

Betroffene empfinden Scham und Angst

„Menschen mit Depressionen treffen heute auf mehr Verständnis als vor 30 Jahren“, schreibt Georg Schomerus, Professor für Psychiatrie an der Universität Greifswald, in einer 2023 veröffentlichen Studie. Die Stigmatisierung von Erkrankten mit Schizophrenie habe in dieser Zeitspanne dagegen sogar zugenommen. Von 1990 bis 2020 hat der Wissenschaftler erforscht, wie Menschen auf psychische Erkrankungen anderer reagieren. Im Einzelfall nehmen es die Betroffenen dennoch unterschiedlich wahr. Zumal, wenn ein stationärer Aufenthalt ansteht. Eva Winterfeld sagt: „Die Menschen schämen sich und das hat viel mit der Umwelt zu tun. Sie fühlen sich von anderen diskriminiert und entblößt.“ Es sei immer noch so, dass man nach außen eher strahlend auftreten müsse, nach dem Motto „alles ist gut und ich bin gesund!“ Kann man dies nicht erfüllen, kommen zusätzlich zur Erkrankung häufig Angst und Scham hinzu. Manche lehnen es dann auch ab, Medikamente zu nehmen – möglicherweise auch wegen der Angst vor Nebenwirkungen oder mit der Begründung: „Ich brauche nur Vitamine und dann geht es mir wieder gut.“ 

Krankheitseinsicht erleichtert die Therapie

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Kunsttherapie
     Foto_Kunstraum_2_© Sigrid Wiedemann

Wenn Menschen Probleme damit haben, eine Diagnose zu akzeptieren, fehlt eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg einer Therapie: die Krankheitseinsicht. In einer akuten Schizophrenie ist sie ein Symptom der Erkrankung. Bei anderen psychischen Störungen eher das Ergebnis von Verdrängung, eben etwa aus Scham. Doch wer die Erkrankung nicht anerkennt, arbeitet nicht aktiv an der Genesung mit. Oft ist die ablehnende Haltung den Patientinnen und Patienten nicht bewusst. In dieser Situation können die beiden Kunsttherapeutinnen mit ihren Therapieansätzen eine Brücke schlagen. „Kunsttherapie ist Selbsterfahrung“, erläutert Sigrid Wiedemann. Es gehe nicht darum „malen zu können“, sondern sich selbst besser kennenzulernen, die eigenen Stärken, Schwächen, Bedürfnisse, Wünsche und Befürchtungen. Egal ob Patientinnen und Patienten sich für die Arbeit mit Ölkreide, Aquarellfarbe oder Buntstift entscheiden: „Immer kommt ja automatisch etwas vom Patienten mit ins Bild, das kann niemand verhindern.“ Häufig zeigten sich unangenehme Symptome der eigenen Erkrankung. „Vielen fällt es schwer darüber zu sprechen. Aber alle können es kreativ ausdrücken.“ Dabei kommen Emotionen zum Vorschein. „Das sehen die Patienten dann auch und denken, ‚ach so, so ist das‘.“ Das Entdeckte könnten sie dann ihre Psychotherapiestunde mitnehmen. Insgesamt helfe dieser Bewusstwerdungsprozess dabei, die eigene Erkrankung nach und nach akzeptieren zu können und einen selbstbestimmteren Umgang damit zu finden. 

Gefühle wahrnehmen ist der erste Schritt

„In unserer Arbeit geht es letztlich um Resilienz, um Eigenverantwortung, Selbstwirksamkeit, Selbstfürsorge, Selbstmitgefühl und Selbstwert“, betont Eva Winterfeld. Für Patientinnen und Patienten heißt das, die eigenen Gefühle überhaupt erst einmal wahr- und dann auch anzunehmen. Männern fällt es häufig schwerer einen Zugang zu ihren Emotionen zu finden als Frauen. Vielleicht ist da Wut, Ohnmacht, Angst, Trauer oder die Tendenz, sich selbst zu verurteilen und abzuwerten. „All das lässt sich spielerisch im Bild umsetzen.“ Eva Winterfeld setzt dazu unter anderem Methoden aus der „Acceptance Commitment Therapy“ (ACT) ein: „Der Fokus liegt darauf, ganz im Hier und Jetzt zu leben und zu schauen, was empfinde ich jetzt in diesem Moment, was kann ich daran ändern und wie – und was nicht“, so die Kunsttherapeutin. „Das hat viel mit Achtsamkeit zu tun.“

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Kunst
 Foto © pexels

Sigrid Wiedemann bringt Ansätze aus der „Interpersonellen Psychotherapie“ (IPT) mit ein: „Krankheitsakzeptanz steht dabei an erster Stelle.“ Weil der Verstand keinen Bezug zu den Gefühlen herstellen kann oder mag, überlistet sie die Patientinnen und Patienten: „Beim ersten Mal bringe ich Stimmungsbilder mit und lasse die Patienten diejenigen aussuchen und sortieren, die sie ansprechen. Das ist meist ein gelungener Einstieg, weil sich dann gleich zeigt: Was ist im Moment, was stresst mich gerade? Wonach sehne ich mich gerade? Und wo stehe ich derzeit?“

Besteht ein Gewinn durch die Erkrankung?

Hinzu kommt noch ein Aspekt, der vielfach als unangenehm erlebt wird. Es ist quasi die Kehrseite der Krankheitseinsicht und dem damit verbundenen Willen, etwas zu verändern: ein möglicher „Krankheitsgewinn“. „Manche Patienten halten unbewusst an ihrer psychischen Erkrankung fest, weil ihnen das Vorteile verschafft. Etwa, dass andere sich um sie kümmern“, erklärt Eva Winterfeld. „Dies schauen die Psychotherapeuten und wir uns ebenfalls mit an. Welche Vorteile könnte jemand haben, eine Krankheit behalten zu wollen, wovor hat jemand Angst, wenn er sie nicht mehr hätte?“ Häufig gehe es dabei um Eigenverantwortung, die viele Menschen nicht so gerne übernehmen würden. Wer den „Krankheitsgewinn“ bei sich erkenne, brauche häufig einige Zeit, um die Identifikation mit der Krankheit aufzugeben. Das in der Kunsttherapie geübte Selbstmitgefühl kann dann eine wichtige innere Stütze sein.