Leichte Sprache

Darüber reden und zuhören kann Leben retten

Mehr als 9000 Menschen in Deutschland nehmen sich jedes Jahr das Leben. Viele Leben könnten gerettet werden, wenn mehr Betroffene rechtzeitig die Möglichkeit bekämen, über ihre Verzweiflung zu reden – auch schon mit Familie oder Freunden.

 

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Herr Prof. Peter Brieger
Foto Prof. Peter Brieger_©_kbo-Isar-Amper-Klinikum

Erste Hilfe: Das Gespräch suchen und zuhören

Der Verdacht, dass sich jemand aus dem eigenen Umfeld das Leben nehmen möchte, belastet sehr. Man möchte den Suizid verhindern, zweifelt und zögert aber auch, denn es stellen sich viele Fragen: Wie anfangen? Was antworten, wenn sich der Verdacht bewahrheitet und jemand über Suizidgedanken spricht? Und werden Menschen, die insgeheim über Suizid nachdenken, nicht erst recht dazu ermuntert, wenn man es anspricht? Das Gegenteil ist oft der Fall, erklärt Prof. Dr. Peter Brieger, Ärztlicher Direktor am kbo-Isar-Amper-Klinikum: „Betroffene sind vor allem erleichtert, wenn solche auch für sie erschreckenden Gedanken Raum haben dürfen und sie damit nicht länger allein sind. Fast alle, die von einem möglichen Suizid sprechen, möchten dadurch vor allem Hilfe bekommen.“ Entstehe der Eindruck, dass beispielsweise ein Angehöriger oder eine Freundin suizidgefährdet seien, sei es deshalb ratsam, gezielt zu fragen: „Denkst du über Suizid nach?“. Das Gespräch kann ein Schritt sein, einen Suizid zu verhindern. 

 

Was tun, wenn die Absicht zum Suizid zugegeben wurde?

Gibt jemand zu, sich das Leben nehmen zu wollen, sei es laut Prof. Dr. Peter Brieger wichtig, nicht davon abzulenken oder die Antwort abzutun, sondern sie ernst zu nehmen und weiterzufragen: „Hast du schon überlegt, wie du es tun willst? Wann? Hast Du schon Maßnahmen ergriffen, um den Plan in die Tat umzusetzen?“ 

Der Verein „Freunde fürs Leben“ setzt sich dafür ein, Suizide zu verhindern und empfiehlt Folgendes:

1. Machen Sie weitere Gesprächsangebote, aber nur, wenn Sie sie einhalten können.
2. Bleiben Sie mit der Suizidabsicht, von der Sie erfahren haben, nicht allein. Wenden Sie sich an Menschen, denen Sie vertrauen, beispielsweise Eltern, Lehrer und Lehrerinnen oder Beratungsstellen.
3. Begleiten Sie den Betroffenen oder die Betroffene (sofern er oder sie das möchte) zu einem Gespräch.
4. Vor allem aber: Be- oder verurteilen Sie nicht! Verzichten Sie darauf, Ratschläge zu geben oder ein Beispiel aus dem eigenen Leben zu bringen. Stattdessen lautet der Rat: zuhören, zuhören, zuhören, Geduld und Verständnis zeigen

Nicht immer aber könne ein Gespräch tatsächlich helfen: „Einige Menschen können oder wollen auch auf Nachfrage nicht mitteilen, dass sie sich das Leben nehmen wollen. Ihre Entscheidung ist getroffen. Für die Angehörigen und Freunde ist es oft zusätzlich schwer, damit umzugehen“, heißt es auf der Website des Vereins. In diesem Zusammenhang weist der Verein darauf hin, dass manche Selbsttötungen nicht verhindert würden, weil die Absichten nicht erkennbar gewesen seien. Auch wenn es schwerfalle, solle man sich in diesen Situationen keine Vorwürfe machen.

 

Ursachen für Suizidabsichten

Wie kommt es dazu, dass sich jemand das Leben neben möchte? Die Gründe sind vielfältig: Wenn das Leben nicht mehr lebenswert erscheint, wenn Menschen keinen Sinn mehr in ihrem Leben erkennen, ihnen eine Perspektive fehlt oder sie keine Hoffnung mehr haben, dass sich ihre Situation bessert, sinkt die Hemmschwelle, das eigene Leben zu beenden. Manche sind auch davon überzeugt, eine zu große Bürde für ihre Angehörigen zu sein und wollen sie von dieser Last befreien. 

„Häufig wird in der wissenschaftlichen Literatur noch die Aussage zitiert, dass Suizide zu 90 Prozent die Folge psychischer Erkrankungen sind“, sagt Prof. Dr. Peter Brieger, Ärztlicher Direktor am kbo-Isar-Amper-Klinikum, „tatsächlich aber sind seelische Störungen nur ein möglicher Faktor unter mehreren.“ Dazu gehörten etwa Beziehungsprobleme, Drogenmissbrauch, Belastungen durch schwere körperliche Erkrankungen, akute Krisen im Beruf oder auch juristische Auseinandersetzungen. „Suizidales Verhalten weist auf eine tiefe Unzufriedenheit hin“, so Prof. Brieger, „aber nicht notwendigerweise auf eine psychische Erkrankung.“ 

Trotzdem erhöhten psychische Störungen das Risiko eines Suizides um das bis zu 30- bis 50-fache gegenüber der allgemeinen Bevölkerung. Das gelte insbesondere für Psychosen, schwere depressive Störungen, ausgeprägte Persönlichkeitsstörungen wie die Borderline-Persönlichkeitsstörung oder schwere narzisstische Störungen sowie Suchterkrankungen.

 

Engagement gegen Suizid und für die gesellschaftliche Öffnung

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zuhören
Foto © pexels

„In meinem Umfeld sind bereits zu viele Menschen freiwillig gegangen“, sagt Markus Kavka. Der Musikjournalist und Moderator engagiert sich deshalb beim Verein „Freunde fürs Leben“. Dieser setzt sich mit weiteren Prominenten und vielen Ehrenamtlichen dafür ein, Themen wie Depression und vor allem auch Suizid mehr in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn trotz aller gesellschaftlichen Bemühungen ist es immer noch ein Tabu, darüber zu sprechen. „Wir wollen das ändern“, sagen die beiden Gründer Diana Doko und Gerald Schömbs. Indem sie über Hilfsangebote aufklären und Betroffenen und Angehörigen eine Plattform für Austausch bieten, wollen sie dazu beitragen, dass sich nicht immer noch jedes Jahr mehr als 9000 Menschen in Deutschland das Leben nehmen. Darunter sind etwa 500 Jugendliche und junge Erwachsene. Mit dem Alter steigt die Suizidrate an. Damit sterben in Deutschland insgesamt mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, AIDS, illegale Drogen und Gewalttaten zusammen. Hinzu kommen jährlich mehr als 100.000 Suizidversuche. 

Der Verein hilft mit den Informationen und weiterführenden Links auf seinem Internetportal nachweislich auch Menschen, die selbst in eine Krise geraten und Suizidgedanken haben. Eine Studie hat 2017 gezeigt, dass nach nur zehn Minuten Aufenthalt auf der Website frnd.de „eine Reduktion des Suizidalitäts-Levels auftrat, die auch nach einer Woche noch anhielt“.

 


Nationale Suizidpräventionsstrategie und Sichtbarkeit für Suizidprävention 

Auch die Bundesregierung hat den Handlungsbedarf erkannt: Im Mai 2024 wurden erste Planungen für eine „Nationale Suizidpräventionsstrategie“ vorgestellt. Das Fachnetzwerk Nationales Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) , das von Prof. Barbara Schneider von der LVR-Klinik Köln mitgeleitet wird, begrüßt das Vorhaben grundsätzlich, kritisiert aber beispielsweise, dass bestehende Initiativen und erprobte Konzepte nicht genug eingebunden würden beziehungsweise keine Beachtung gefunden hätten. 

Suizide verhindern durch Vernetzung, Austausch und Förderung: Das ist Ziel der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS). Auch ihr ist es ein wichtiges Anliegen, das Stigma rund um das Thema Suizid zu beenden. Sie versteht sich als Fachgesellschaft und Dachverband für Einzelpersonen sowie Institutionen, die sich mit Suizidprävention befassen – sei es in Forschung, Lehre oder Praxis. Die DGS fördert das NaSPro und verleiht den Hans-Rost-Preis für herausragende Arbeit auf dem Gebiet der Suizidforschung und der Suizidprävention. 2023 erhielt ihn Prof. Dr. Barbara Schneider für ihre wissenschaftliche und praktische Arbeit als Leiterin des NaSPro.

Auch auf globaler Ebene wird das Thema Suizidprävention sichtbar gemacht: Am 10. September findet der Welttag der Suizidprävention von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) statt. Das diesjährige Motto benennt einen der wichtigsten Faktoren, wenn es darum geht, Suizide zu verhindern: „Reden kostet nichts. Schweigen schon“.

 

Was kann man sonst noch tun?

Wer lernen möchte, die Symptome einer möglichen psychischen Erkrankung besser zu erkennen, wie Betroffene angesprochen werden können und welche Unterstützungsmöglichkeiten es für sie gibt, kann sich zum „Ersthelfer für psychische Gesundheit“ ausbilden lassen. Die zwölfstündige Fortbildung von Mental Health First Aid (MHFA) Ersthelfer wendet sich explizit an Laien.

 

Hilfe

Hier finden Sie schnelle Hilfe

Sie sind in einer Krise und brauchen jemanden zum Reden? Bei der Telefonseelsorge finden Sie offene Ohren unter 0800 111 0 111. Das Kinder- und Jugendtelefon der Nummer gegen Kummer erreichen Sie unter 116 111, das Elterntelefon unter 0800 111 0 550.