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Eltern machen mit: Familienorientierte Therapie für psychisch erkrankte Kinder

Bei Kindern mit psychischen Erkrankungen kann der familiäre Umgang wichtige Hinweise zu den Problemen geben. In der LWL-Klinik Marl-Sinsen gibt es daher seit 2015 eine Therapieform in einem besonderen Setting: Dabei wohnen Eltern oder Bezugspersonen für die Dauer der Therapie gemeinsam mit den erkrankten Kindern in einem Apartment. In die „Eltern-Kind-Einheit“ aufgenommen werden Jungen und Mädchen im Alter von sechs Monaten bis acht Jahren. Was sich das multiprofessionelle Behandlungsteam von diesem Ansatz verspricht und welche Wirkungen er zeigt, erklärt die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. Carolin Wilker.

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Dr. Wilker, mit welchen Problemen kommen die jungen Patientinnen und Patienten und ihre Familien zu Ihnen?

Aufnahmegründe können unter anderem Schlaf-, Fütter- oder Schreistörungen sein, aber auch Schwierigkeiten in der Sauberkeitsentwicklung, Probleme im Kindergarten oder in der Schule, massives aggressives Verhalten oder Bindungsstörungen.


 


Was versprechen Sie sich davon, Eltern, Bezugspersonen oder auch Geschwister mit in die Apartments aufzunehmen?

Manche Probleme zeigen sich besser in der natürlichen Interaktion mit Eltern oder Geschwistern.

Dadurch, dass sie alle quasi bei uns wohnen, bekommen wir viel mehr vom Beziehungsverhalten untereinander mit, als das in einer normalen Therapie mit einzelnen Sitzungen möglich wäre. Das gibt uns die Möglichkeit, bestimmte Verhaltensweisen zu erkennen, in einen Kontext einzuordnen und gemeinsam mit den Eltern oder Bezugspersonen und den Kindern unmittelbar alternative Handlungsstrategien zu erarbeiten.


Wie lange dauert ein Therapieaufenthalt und wie wird er gestaltet?

Die Behandlungsdauer beträgt in der Regel etwa acht Wochen. In dieser Zeit nehmen unsere jungen Patientinnen und Patienten an Einzel- und Gruppentherapien auf der Station und an Fachtherapien teil. Sie besuchen unter anderem im Rahmen der Tiergestützten Therapie unser Tiergehege und lernen dort im Umgang mit den Tieren Selbstwirksamkeit und Achtsamkeit. In der Waldpädagogik geht es raus in die Natur. Hier trainieren die Jungen und Mädchen auch, zur Ruhe zu kommen. Etwa, indem sie Käfer oder Insekten beobachten. Bei ihren Terminen im Snoezel-Zentrum stehen Entspannung in reizarmen Räumen oder aber lustvolles Toben im Vordergrund. Teilweise werden die Kinder von ihren Angehörigen begleitet und erleben gemeinsam eine positive Zeit. Das ist eine wertvolle Erfahrung, sowohl für die Kinder als auch für die Erwachsenen. Denn durch die bestehende Problematik, ist das Familiengefüge häufig sehr belastet. Natürlich steht auch Diagnostik auf dem Plan sowie Entwicklungstherapie. Hier lernen die Kinder unter anderem auf spielerische Weise, Emotionen zu verarbeiten und ihr Verhalten zu regulieren. Auch hier werden die Eltern beziehungsweise die Bezugspersonen in den Therapieprozess einbezogen. Um einen Blick auf positive Aspekte innerhalb der Kind-Erwachsenen-, aber auch der Kind-Kind-Beziehung geht es bei „Marte Meo“.


Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Marte Meo“?

„Marte Meo“ ist eine videozentrierte Coaching-Methode. Dabei werden bestimmte Interaktionen zwischen Kindern und Erwachsenen oder Kindern untereinander gefilmt.

Eine speziell geschulte Marte-Meo-Therapeutin wertet diese Aufnahmen anschließend aus und schaut einzelne Teile gemeinsam mit Bezugspersonen und/oder Kindern an. Das Besondere an diesem Ansatz ist, dass der Fokus ausschließlich auf positive Aspekte in der Interaktion gelegt wird. Das bedeutet, Eltern und Kinder erfahren, was sie in ihrem Verhalten schon richtig gut machen und werden angeregt, dieses zu intensivieren. Dieser positive Blick entlastet alle Beteiligten ungemein. Denn vielfach sehen die Erwachsenen die Kinder nur noch durch eine negative Brille. Und genauso geht es unseren kleinen Patientinnen und Patienten in Bezug auf Erwachsene, aber auch auf sich selbst.

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Und wann wird gefilmt?

Durch die ständige Anwesenheit der Beteiligten können wir nicht nur Spielsituationen, sondern auch zum Beispiel das gemeinsame Essen oder Hausaufgabenmachen filmen. Das wäre in einer „normalen“ Therapie, egal ob stationär oder ambulant, so nicht möglich.

 

Beziehen Sie denn die Eltern oder Bezugspersonen mit in die Therapie ein?

Für die Eltern haben wir keinen Behandlungsauftrag. Trotzdem ist es für uns immens wichtig, sie mit ins Boot zu holen. Denn häufig ändert sich das Verhalten der Kinder auch durch das Verhalten der Eltern. Da ist es natürlich perfekt, wenn eine Bezugsperson mit vor Ort ist. Das bedeutet, wir können direkt mit ihnen Rücksprache halten, sie in ihrer Erziehungskompetenz stärken und auch einen angeleiteten Erfahrungsaustausch unter den Angehörigen anbieten. Hier geben sich die Erwachsenen häufig wertvolle Tipps, die oft besser angenommen werden als solche von professioneller Seite. Außerdem besucht uns wöchentlich eine Kollegin aus der Erwachsenenpsychiatrie und bietet Gesprächstermine an. So können auch mögliche Erkrankungen auf dieser Seite festgestellt, und falls nötig im Anschluss an den Klinikaufenthalt behandelt werden.

 

Und wie geht es nach dem Aufenthalt weiter?

Ein Aufnahmekriterium für die Kinder ist, dass sie vorher bereits ambulant behandelt wurden. Falls nötig, kehren sie in diese Behandlungsform zurück, die wir für einige Fälle auch hier in Marl anbieten können. Wenn es erforderlich ist, vermitteln unsere Sozialarbeiterinnen außerdem den Kontakt zum zuständigen Jugendamt, um die Familien über den stationären Aufenthalt hinaus zum Beispiel mit Familien- und/oder Erziehungshilfen zu unterstützen, damit die hier erreichten Erfolge erhalten bleiben oder noch weiter ausgebaut werden.


Wie lautet das Fazit der Betroffenen?

Wir machen fast durchweg gute Erfahrungen. Einige Erwachsene kommen hier völlig niedergeschlagen an und fühlen sich schuldig, alles falsch gemacht zu haben. Andere sehen erst einmal gar keinen Zusammenhang zwischen ihrem Verhalten und dem der Kinder. Am Ende fühlen sich meist alle gestärkt und motiviert, ihre neue Erziehungskompetenz einzusetzen. Sie haben erfahren, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind und auch Hilfe annehmen können. Für die Kinder bedeutet der Aufenthalt ebenfalls eine Stärkung. Sie haben gemeinsam mit dem multiprofessionellen Team an ihren Fähigkeiten gearbeitet und werden von ihren Eltern oder Bezugspersonen in ihren positiven Verhaltensweisen unterstützt.

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Wo finden Eltern von psychisch erkrankten Kindern Hilfe?

Ist das eigene Kind psychisch erkrankt, ist dies für Eltern eine große Belastung. In einigen Fällen kann es hilfreich sein, ebenfalls professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Neben Angeboten wie der „Eltern-Kind-Einheit“, kann als erste Anlaufstelle das Forum für den Austausch mit anderen Angehörigen sowie mit Expertinnen und Experten hilfreich sein.