Leichte Sprache

Vom Straßenhund zum Co-Therapeuten

Leckerli als „Honorar“: In der kbo-Lech-Mangfall-Klinik in Garmisch-Partenkirchen gehört Mischlingshund Mio zum Therapeutenteam. Gemeinsam mit Psychologin Emma Huß hilft er Menschen mit psychischen Erkrankungen, wieder Vertrauen zu sich, zu anderen und zum Leben zu fassen. Dafür hat er in der „tiergestützten Therapie“ auch einige coole Tricks auf Lager.

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blogbeitrag tiergestützte Therapie
Emma Huß und Mio copyright © kbo/LMK

Mio hat eine besondere Fähigkeit: Er kann Menschen zum Lächeln, sogar zum Lachen bringen. Auf das Kommando „Yoga!“ nimmt der Collie-Mischling die Pose des „herabschauenden Hundes“ ein, streckt die Vorderläufe lang, den Rücken durch und reckt den Schwanz in die Höhe. Beim „Hatschi-Trick“ apportiert er ein auf einem Stuhl abgelegtes Geschirrtuch, sobald jemand geniest hat. Spätestens jetzt schmunzeln oder lachen alle Patientinnen und Patienten, die an der tiergestützten Gruppentherapiestunde in der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Garmisch-Partenkirchen teilnehmen. Das ist ein so besonderer Moment, denn vielen von ihnen fällt es aufgrund ihrer psychischen Erkrankung schwer, sich zu öffnen und Gefühle zu zeigen. Manche leiden schon eine lange Zeit unter fehlender Freude und Leichtigkeit im Leben.
 

Tiere lenken ab – und entspannen

„Tiere als Co-Therapeuten können zu mehr positiven Emotionen beitragen, das haben Studien deutlich gezeigt“, erläutert die Psychologin Emma Huß. Ob die Diagnose schwere Depression, Angsterkrankung, Persönlichkeitsstörung, Traumatisierung oder Demenz lautet: Immer bestätigt sich, dass allein schon das Streicheln eines Therapiehundes wie Mio Stress reduziert. Hormone wie Cortisol und Adrenalin werden weniger ausgeschüttet, Herzfrequenz und Blutdruck sinken, die Stimmung steigt. „Allesamt Anzeichen für Entspannung“, sagt Emma Huß. Der Austausch mit dem Tier lenkt ab. Er hilft Patientinnen und Patienten ganz im Moment zu sein und besser mit der Umwelt, mit anderen Menschen und auch mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Oder dies überhaupt wieder zu können.

„Viele psychisch kranke Patientinnen und Patienten haben enttäuschende Beziehungserfahrungen gemacht. Sie haben daher nicht mehr so viel Vertrauen zu anderen Menschen und fürchten, zurückgewiesen oder übergriffig behandelt zu werden“, erklärt die Psychologin. Bei einem Hund wie Mio hingegen müssten sie diese Angst nicht haben, da er von sich aus Kontakt suche und Patientinnen und Patienten in ihrem Tun bestärke. Ihre jeweilige Erkrankung geht meist mit innerem Rückzug, Antriebsschwäche und einem schwachen Selbstwert einher. Wenn sie aber in der Stunde erleben, dass sie den Hund etwa auffordern, zu ihnen zu kommen, und Mio dies dann tut, sich zutraulich an sie schmiegt und den Kopf auf ihre Knie legt, dann „fühlen sich die Teilnehmenden sehr selbstwirksam und in ihrer Aktion bestätigt. Sie haben erlebt, dass sie etwas umsetzen können, in Gestik und Mimik klar waren und in der Kommunikation die richtigen Signale gesendet haben.“

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Emma Huß und Mio copyright © kbo/LMK

 

Vom Verhalten der Tiere lernen

Eindeutig zu kommunizieren gehört zu den Zielen einer tiergestützten Therapie. Daneben geht es auch um Achtsamkeit, Motivation, Grenzen setzen und darum „nein“ sagen zu können, sowie um Empathie- und Beziehungsfähigkeit allgemein. Elemente aus der Lerntheorie hat Emma Huß noch erweitert:

„Was können wir uns vom Hund abschauen, welche Charakterzüge können uns vielleicht als Vorbild dienen, für uns selbst und im zwischenmenschlichen Verhalten?“

So nähert sich Mio nicht, wenn die Aufforderung an ihn nicht eindeutig ist. Ebenso wenig, wenn jemand den Hund gar nicht aufgefordert hat, sich aber wundert, warum er nicht auch zu ihr oder zu ihm kommt. Dann wird der Hund zum „Spiegel“, mit Lernpotenzial für Patientinnen und Patienten: Wie können sie ihre Wünsche besser zum Ausdruck bringen, welche (überzogenen) Erwartungen haben sie möglicherweise an andere? Mio kommt aber auch nicht einfach näher, wenn er spürt, dass jemand, etwa zu Beginn der Stunde, noch sehr in sich gekehrt und in Traurigkeit versunken ist. Dies kann als Beispiel dafür dienen, den Raum eines anderen zu respektieren sowie für den eigenen einzustehen. Ist jemand hingegen wütend oder ärgerlich, wird Mio sein ruhiges Plätzchen in der Ecke des Therapieraumes aufgeben und herbeitrotten, um auszugleichen, zu besänftigen und sein weiches Fell kraulen zu lassen.


Tiere können Vertrauen steigern

Dass Mio besonders sensibel für die seelischen Nöte anderer ist, hat für Emma Huß auch mit seiner eigenen Geschichte zu tun. 2018 rettete sie den Straßenhund mit Hilfe einer spanischen Tierschutzorganisation vor dem sicheren Tod. „Im ersten Jahr war Mio sehr ängstlich und unsicher. Er hat lange gebraucht, bis er Vertrauen zu mir fasste. Lob, Geduld, Ruhe und Zuversicht haben schließlich dazu beigetragen“, berichtet sie. Diesen Weg schildert sie auch in den Gruppentherapiestunden, die Parallelen zu den Teilnehmenden sind offenkundig. Gemeinsam haben Emma Huß und Mio die zweijährige Ausbildung zum Therapiehund in Österreich absolviert, da es in Deutschland bisher keine zertifizierte Prüfungsordnung gibt. Seit 2020 sind die beiden – unter Berücksichtigung aller Tierschutzbestimmungen – als Therapeuten-Team in der kbo-Lech-Mangfall-Klinik in Garmisch-Partenkirchen im Einsatz. Das hat zwei unmittelbare Vorteile: „Im Beisein eines Hundes werden Therapeutinnen und Therapeuten als vertrauenswürdiger wahrgenommen“, weiß Emma Huß. Und reagiert der Hund nicht so, wie eine Patientin oder ein Patient sich das erhofft hat, wird dies weniger als Kritik wahrgenommen.

Viele psychiatrische Kliniken in Deutschland schätzen inzwischen solche „Doppelgespanne“, oft mit Hund, manchmal mit Lama oder Pferd. Aus dem Ausland ist die Therapie mit Delfinen bekannt. Davon profitieren Menschen mit einer psychischen Erkrankung nicht nur, weil ihre „erwachsenen Anteile“ und damit ihre Autonomie gestärkt werden. Auch ihre kindlich-verspielte, weiche und neugierige Seite, die oft durch die Erkrankung verschüttet ist, darf wieder zum Vorschein kommen. Mit seinem kuscheligen Fell und den großen Augen verkörpert Mio das sogenannte Kindchenschema und weckt in Patientinnen und Patienten den Beschützerinstinkt und den Wunsch fürsorglich und zugewandt zu sein. Scheinbar nur zum Hund, aber letztlich auch zu sich selbst. Das zeigt sich ebenfalls in den Momenten, in denen Herumtollen mit Mio ansteht – weil er das Zeichen dazu gegeben hat: Sitzen alle im Kreis, sprechen über Lerntheorie und halten dazu einen Ausdruck in Händen, kommt Mio irgendwann, weil es ihm zu langweilig wird, und zieht einem der Teilnehmenden das Blatt Papier aus der Hand, was meist zu Gelächter und Geschmunzel führt. Mio hat seine Mission erfüllt.