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Wie kann man ein Trauma überwinden?

Einmalige, lebensbedrohliche Ereignisse können Menschen zutiefst erschüttern. Ebenso können wiederholte körperliche und seelische Verletzungen zu einer Traumafolgestörung führen. Welche Therapien helfen, erläutert Dr. Robert Rohmfeld, Abteilungsleitender Psychotherapeut der Tagesklinik und der OEG-Trauma-Ambulanz des Pfalzklinikums in Landau. 

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Gesprächstherapie
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Herr Dr. Rohmfeld, welche Therapie-Möglichkeiten gibt es zur Behandlung eines Traumas?

Das hängt von der Schwere der Symptome und der Diagnose ab. Eine Anpassungsstörung lässt sich gut mit Gesprächstherapie und Kognitiver Verhaltenstherapie behandeln. Bei dieser Störung handelt es sich nur bedingt um eine Traumafolgestörung, weil kein objektiv lebensbedrohliches Ereignis wie ein Überfall, ein schwerer Unfall, eine Vergewaltigung oder eine andere Gewalterfahrung die Ursache ist, sondern ein einschneidendes Erlebnis wie eine Kündigung oder Trennung des Partners. Das kann sich subjektiv sehr wohl existenziell anfühlen, die Symptome wie Schlafstörungen, Verdauungsprobleme oder Rückzug halten aber in der Regel nicht so lange an und sind gut therapierbar.

 

Im neuen Diagnosemanual ICD11 wird inzwischen unterschieden zwischen einfachen und komplexen Traumafolgestörungen. Welche Therapie bietet sich bei einer einfachen Traumafolgestörung an?

Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer einfachen Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Hierfür haben sich mehrere Verfahren etabliert, die nach Bedarf auch in Kombination eingesetzt werden können. Dazu gehört vor allem EMDR, das bedeutet „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“. Nach einer Phase des Sprechens und allmählichen Erinnerns an das Erlebte in der Therapie folgt der Patient mit den Augen zum Beispiel der Zeigefingerbewegung des Therapeuten nach links und rechts. Dabei sollen innere Bilder und Erinnerungen an das Erlebte von den Gefühlen der Angst und Verzweiflung entkoppelt werden, so dass sie schließlich nicht mehr auftreten. Der Patient kann so an das Erlebte denken, ohne dass er von überwältigenden Emotionen überflutet wird, die ihn die Situation immer wieder erleben lassen, als geschähe sie jetzt, in der Gegenwart. Die Idee dahinter ist: Das Ereignis war so bedrohlich und außerordentlich, dass es im Gehirn nicht adäquat verarbeitet werden konnte. Es hängt gewissermaßen fest. Mit EMDR lässt sich die Erinnerung in Fluss bringen und verarbeiten. Letztlich ist noch nicht wirklich verstanden, wie es letztlich wirkt. 

Welche Therapien gibt es neben EMDR?

Gut erprobt sind die Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT) und die Cognitive Processing Therapy (CPT). Sie werden eingesetzt, um Vermeidungsstrategien bewusst zu machen, die sich viele Patienten nach dem Ereignis aneignen, um sich zu schützen. In Wahrheit aber engen sie dadurch ihren Lebensradius ein. Wir schauen gemeinsam, welche Überzeugungen sich durch ein lebensgefährliches Ereignis gefestigt haben und wie sie sich durch neue, positive, wir sagen auch „funktionale“ Glaubenssätze ersetzen lassen. Ein Beispiel: Nach einer Vergewaltigung könnte eine Frau denken: ,Ich vertraue nie wieder einem Mann‘. Wir erforschen gemeinsam, ob diese Schlussfolgerungen berechtigt sind und wie sie sich verändern lassen. Menschen mit Traumafolgestörungen sind oft der Ansicht, selbst schuld an dem zu sein, was ihnen widerfahren ist. Auch eine solche Überzeugung lässt sich gerade mit den genannten Verfahren gut wieder verändern. Dabei kann es sinnvoll sein, dass sich die Patienten zwischen den Sitzungen auch selbst konfrontieren und das, was sie dabei erleben, aufschreiben. Gelingt dies, ist das oft ein großer Schritt hin zur Überwindung des Traumas. Außerdem setzen wir narrative Konfrontationsverfahren ein, bei denen Patienten Bruchstücke ihrer Erinnerung zu einer Geschichte verbinden und so verarbeiten können. Insgesamt konfrontieren wir die Patienten heute schneller mit dem Erlebten als in früheren Jahren, wo der Fokus eher auf der Stabilisierung lag und darauf, dass der Patient wieder ein Gefühl von Sicherheit in sich etablieren kann. Jetzt steht relativ bald die Bewältigung im Vordergrund.

Und wie gehen Sie vor, um eine komplexe Traumafolgestörung oder komplexe PTBS zu behandeln?

Eine komplexe Traumafolgestörung beruht auf in der Regel auf einer Traumatisierung, die nicht auf ein Ereignis, sondern auf eine wiederholte Traumatisierung zurückgeht, oft über Jahre und oft seit oder in der Kindheit. Zur Behandlung wurde auf Basis der Kognitiven Verhaltenstherapie die „Imagery Rescripting & Reprocessing Therapy“ (IRRT) entwickelt. Dabei wird vor allem die Imagination des Patienten eingesetzt. 

Was passiert bei der IRRT?

In einer ersten Phase imaginiert der Patient und führt sich selbst, mit geschlossenen Augen, innerlich in die Situation hinein, die vorgefallen ist. Mir als Therapeut berichtet er in der Präsensform, was gerade geschieht. Ich lenke den Patienten auf verschiedene Wahrnehmungsebenen, indem ich frage: ,Was spüren Sie im Moment, was sehen Sie, was geht Ihnen gerade durch den Kopf, was erleben Sie gerade, was ist das für ein Schmerz, den Sie empfinden?‘ Schließlich frage ich nach dem Ausmaß der inneren Anspannung auf einer Skala von 0 bis 10 und erfahre so auch, wann der Moment der stärksten Anspannung ist. Ebbt er ab, fühlt der Patient sich wieder in Sicherheit. In einer zweiten Phase reflektiert der Patient darüber, mit geöffneten Augen. In einer dritten Phase geht der Patient innerlich wieder hinein in die Situation, die sich für ihn am meisten belastend anfühlt. Ich bitte ihn dann, sich etwas Hilfreiches zu imaginieren, das heißt, es sich bildhaft vorzustellen.

Können Sie ein konkretes Beispiel dafür geben?

Ich erinnere mich an eine Patientin, die als Kind von einem Angehörigen im Schwimmbad vergewaltigt worden ist. Sie erlebt dies in der Sitzung erneut, aber dann bitte ich sie, sich etwas Hilfreiches vorzustellen und ihrer Imagination freien Lauf zu lassen. Der Patientin ist dies spontan gelungen und sie musste sofort lachen: Da ist Popeye plötzlich in der Tür erschienen und hat den Stiefvater verprügelt.

Und das funktioniert, obwohl die Realität ganz anders war?

Es funktioniert durch die Umdeutung, die neue Bewertung der Patientin selbst. Bis dahin befand sie sich auch in ihrer Vorstellung nach wie vor in dieser hoffnungslosen, ohnmächtigen, ausgelieferten Situation. Das Traumagedächtnis veränderte sich nicht, weil die damit verbundenen Gefühle sich abgekapselt hatten. Deshalb versucht ein traumatisierter Mensch auch, Orte und Situationen zu vermeiden, die dies wieder in ihm wachrufen könnten. Durch die innerliche Konfrontation und Umdeutung helfen wir den Patienten, das Traumagedächtnis zu verändern. Mit ihrer Imagination von Popeye konnte diese Patientin verbinden: Es gibt etwas, was mir hilft, ich bin nicht ausgeliefert. Und das gilt dann auch für die Erfahrung in der Vergangenheit. Wir können alte Erinnerungen nicht löschen, wir können sie auf diese Weise aber überschreiben. In einer vierten Phase wenden wir uns noch dem Inneren Kind zu, damit die Patienten sich selbst den Trost geben können, der früher in ihrem Leben gefehlt hat.

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Selbsthilfe

Verschwanden bei Ihrer Patientin die Symptome ihrer Traumafolgestörung? 

Ja, das intrusive Erleben, also die inneren Bilder des Ereignisses, gingen zurück. Meiner Patientin war in der Vergewaltigung ein Arm gebrochen worden. Er war ihr gar nicht mehr bewusst gewesen, sie hatte nur immer wieder Schulterschmerzen, für die es keine ersichtliche Ursache gab. Nach der Behandlung verschwanden diese Schmerzen, weil sie sich durch die Konfrontation in der Traumatherapie daran erinnert hatte, dass ihr der Arm gebrochen worden war. 

Was ist, wenn einem Patienten oder einer Patientin nichts einfällt zu seiner Rettung?

Dann komme ich zum Beispiel als Therapeut in der Imagination unterstützend dazu und mache Vorschläge. Meist ist es aber besonders wirksam, wenn die ,Rettung‘ aus den Patienten selbst kommt. Viele sind überrascht, was ihnen eingefallen ist, das hat einen tiefergehenden Effekt.

Wie kann der Schritt hin zu einer Therapie gelingen?

Aufklärung ist zentral. Ich erläutere auch, was im Gehirn geschieht und wie die Therapie das Traumagedächtnis verändern kann. Wenn Menschen verstehen, was sie da erleben und warum, und dass es sich im Grunde um eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis handelt, sind viele bereit, sich auf eine Therapie einzulassen.