Leichte Sprache

Trauma – Was ist das?

Es geschieht plötzlich und alles ist anders: Ein Mensch wird überfallen, körperlich verletzt, sexuell missbraucht. Er hat Angst um das eigene Leben, seine körperliche oder seelische Unversehrtheit. Viele Betroffene entwickeln nach einer solchen Erfahrung eine Traumafolgestörung. Welche Symptome darauf hindeuten können und warum es wichtig ist, sich frühzeitig Hilfe zu suchen, erläutert Kristin Weber-Pfaff, Leitende Psychologin an der OEG-Traumaambulanz in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Pfalzklinikums in Kaiserslautern.

Frau Weber-Pfaff, in der Alltagssprache ist schnell von einem „Trauma“ die Rede. Was aber versteht die Medizin darunter?

Wir verbinden damit ein Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung: einen Überfall, einen Anschlag, eine Naturkatastrophe, sexueller Missbrauch oder eine sonstige Gewalterfahrung. Dies geht immer mit einem Kontrollverlust der Person einher, die so etwas erlebt, und mit Angst um das eigene Leben oder um die eigene psychische und körperliche Unversehrtheit. Oder jemand wird Zeuge davon, dass einem anderen Menschen etwas Derartiges zustößt. Wir sprechen auch von einer „nicht normativen“ Erfahrung. Das bedeutet, dass sie nicht zwangsläufig im Leben nahezu jedes Menschen vorkommt wie etwa der Verlust eines Angehörigen oder eine Trennung.

Angenommen ein Kind wird in der Schule gemobbt. Kann das ein Trauma hervorrufen?

Natürlich gibt es Ereignisse, die eine sehr hohe subjektive psychische Belastung auslösen können. Für ein ,Trauma‘ muss aber tatsächlich zuvor eine außergewöhnliche Bedrohung oder etwas Katastrophales eingetreten sein, was bei fast jedem Menschen eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, die wiederum zu einer Traumafolgestörung führen kann.

Welche Symptome kann ein Trauma hervorrufen?

Bild
 Trauma
      Foto © Pexels

Am häufigsten entwickeln die betroffenen Menschen eine sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung mit mehreren typischen Symptomen: Flashbacks, Übererregung und Vermeidungsverhalten. Bei Flashbacks wird innerlich die dramatische Erfahrung immer wieder erlebt. Manche Betroffene sehen vereinzelte Bilder vor dem inneren Auge, andere einen ganzen Film ablaufen. Immer aber sind die Menschen in solchen Momenten wieder ganz in der Situation, sehen, hören, fühlen alles, was sie während des Ereignisses gesehen, gehört und gefühlt haben. Die Bedrohung ist unmittelbar wieder da, obwohl in der Gegenwart gar nichts geschieht. Das ist meist sehr belastend. Manche reagieren auch intensiv auf Gerüche oder auf Geräusche, die sie seinerzeit wahrgenommen haben, und können von ähnlichen getriggert werden. Ein weiteres Symptom sind sogenannte Körperintrusionen: Wurde der Mensch körperlich verletzt, schmerzt die betreffende Stelle plötzlich wieder wie in der traumatischen Situation. Häufig kommt Überregung dazu, Kopf und Körper sind dauerhaft in einem Erregungszustand, um potenzielle neue Gefahren rechtzeitig zu erkennen und abzuwenden. Diese Menschen sind massiv angespannt, sehr schreckhaft, nervös, gucken sich vielleicht ständig um und schlafen häufig schlecht. Auch vermeiden Betroffene oft angstauslösende Situationen, die entweder direkt mit dem Ereignis assoziiert sind (etwa der Tatort) oder weil sie mit den gemachten Erfahrungen verbunden werden (etwa alleine das Haus verlassen). Nicht selten sind die Betroffenen vorrübergehend nicht mehr in der Lage, die Schule zu besuchen oder ihrer Arbeit nachzugehen. 

Können sich Folgen eines Traumas auch anders äußern?

Manche Menschen entwickeln zum Beispiel auch eine Depression, oder, was wir häufig sehen, eine Angststörung wie etwa Panikattacken. Andere leiden an einer Agoraphobie: Sie haben Schwierigkeiten, sich an Orten aufzuhalten, wo viele Menschen sind und wo sie das Gefühl haben, die Situation nicht kontrollieren zu können. Nach sexuellem Missbrauch treten verstärkt auch Somatisierungs- und Schmerzstörungen auf: Die Menschen leiden an körperlichen Schmerzen oder Missempfindungen, für die es keine klare organische Ursache gibt, um die sie aber gedanklich stark kreisen. All diese Symptome können sich zudem bei einer ,komplexen Traumafolgestörung‘ zeigen. Im Prinzip sind alle möglichen Symptome denkbar, so kann es auch zu Schlaf- oder Konzentrationsschwierigkeiten kommen, etwa auch zu Verdauungsproblemen und sozialem Rückzug.

Was ist eine „komplexe Traumafolgestörung“? 

Viele Menschen können komplex traumatisiert sein, wenn sie über verschiedene Episoden ihres Lebens hinweg, vor allem aber in Kindheit und Jugend, immer wieder Vernachlässigung oder Gewalt erlebt haben. Hier gibt es kein einmaliges Ereignis als Ursache. Die Symptomatik ist deshalb viel umfangreicher, auch Persönlichkeitsstörungen wie eine Borderline-Störung können die Folge sein. Betroffene haben häufig auch ein negatives Selbstkonzept, sind sehr unsicher und können ihre Emotionen schlecht regulieren.

Bild
Therapie
      Foto © Pexels

Sie arbeiten als Leitende Psychologin an der OEG-Ambulanz für Opfer von Gewalttaten in Kaiserslautern. Wer kann sich an Sie wenden und warum sollte man mit einer Therapie nicht zu lange warten?

Das ,Opfer-Entschädigungs-Gesetz‘ (OEG) sieht unter anderem vor, dass Menschen, die Opfer einer Gewalterfahrung durch andere Personen werden, zeitnah psychotherapeutische Hilfe erhalten. OEG-Ambulanzen gibt es bundesweit. Bei uns in Kaiserslautern sind Häusliche Gewalt, körperlich oder emotional, sowie sexuelle Übergriffe am häufigsten Thema. Und wir behandeln Menschen, die einen ,Schockschaden‘ davon getragen haben, weil sie zum Beispiel eine Gewalttat beobachtet haben oder diese einem nahen Angehörigen zugestoßen ist. Das Geschehene darf dabei nicht länger als ein Jahr zurückliegen. Es ist sinnvoll, sich möglichst frühzeitig bei uns zu melden, damit sich gar nicht erst eine behandlungsbedürftige Erkrankung entwickelt oder aber chronisch wird. Zu erfahren, dass die eigenen Symptome ganz normal sind und behandelt werden können, entlastet oft sehr und hilft, wieder mehr im eigenen Alltag anzukommen. Viele zögern aber lange, auch, weil das Umfeld sie manchmal verantwortlich macht: ,Du hättest ja auch nicht…‘. Das aber verstärkt nur mögliche Schuld- oder Schamgefühle, die jemand vielleicht ohnehin schon hat, und verhindert, dass die Betroffenen sich Hilfe suchen.

Was deutet darauf hin, dass ein Mensch vielleicht eine Traumafolgestörung entwickelt?

Wenn andere oder dieser Mensch selbst dauerhafte Veränderungen an sich bemerkt. Das können neue Symptome sein, aber auch ein anderes Verhalten als zuvor. Habe ich einen schweren Autounfall miterlebt und setze mich nun selbst nicht mehr hinters Steuer oder gehe ich nicht mehr eine Straße entlang, wo mir etwas zugestoßen ist, ist dies ein klares Zeichen, dass ich aufgrund meiner traumatischen Erfahrung Alltagssituationen vermeide. Dann sollte sich ein Mensch Unterstützung holen, um zu überprüfen, ob es hier psychotherapeutischen Bedarf gibt. Das fällt vielen noch schwer: Bei körperlichen Symptomen gehen die meisten Menschen rechtzeitig zum Arzt, psychische Beschwerden werden leider immer noch häufig bagatellisiert und nicht ernstgenommen.

Nicht alle Menschen entwickeln eine Traumafolgestörung, nachdem sie Traumatisches erlebt haben. Wie ist das zu erklären?

Eine große Rolle spielt die psychische Stabilität vor dem Ereignis. Jemand, der zuvor schon psychisch eher instabil war, vielleicht eine genetische Disposition dazu hat, wird in der Regel eher Symptome mit Krankheitswert zeigen. Wir sprechen dann auch von einer größeren Vulnerabilität. In der Trauma-Ambulanz sehen wir immer wieder, dass eine hohe psychische Stabilität schützend wirken kann. Auch das soziale Umfeld ist entscheidend. Nach einem traumatischen Ereignis kann es sehr hilfreich sein, wenn Familie, Freunde und Bekannte Verständnis zeigen, zuhören, nicht be- oder abwerten oder gar Vorwürfe machen und den Betroffenen dabei unterstützen, aktiv zu bleiben und sich nicht zu sehr zurückzuziehen.

Ein Trauma kann jedem widerfahren. Gibt es eine Möglichkeit, psychischen Folgen vorzubeugen?

Im Prinzip kann jeder, der ein Trauma erlebt, auch psychische Folgen entwickeln. Manches aber fördert die eigene psychische Stabilität: Neben allgemeiner Resilienz ist es ratsam, mehrere Lebenssäulen zu haben. Zum Beispiel sollte die eigene Zufriedenheit, die eigene Sinnhaftigkeit nicht nur auf der Säule Arbeit ruhen oder auf der Säule Partnerschaft. Verliert jemand seinen Job oder der Partner, die Partnerin, verlässt einen, kann einem das den Boden unter den Füßen wegziehen. Hat man jedoch mehrere Säulen, darunter ein gutes soziales Netzwerk, ist die eigene Verletzlichkeit vielleicht nicht so groß und man kann auch in schwierigen Phasen Kraft aus dieser Lebenssäule schöpfen.