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Weil Einsamkeit krank machen kann

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Michael Mauerer-Mollerus
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Niemand ist da, keiner ruft an. Manche Menschen leben von der Welt getrennt – ohne es zu wollen. Sie leiden chronisch unter Einsamkeit und werden immer mehr, egal ob jung oder alt. Das gefährdet weltweit die körperliche und seelische Gesundheit und lässt Regierungen nach Wegen suchen, um dieser Entwicklung gegenzusteuern. Die Krisendienste Bayern helfen Menschen, die sich dauerhaft einsam fühlen. Michael Mauerer-Mollerus vom Trägerverein des Angebots beschreibt, wie sie das tun und gibt sieben Tipps für mehr Verbundenheit mit sich selbst und anderen.

 

Mal einen Abend allein zu sein, macht den meisten Menschen nichts aus. Manche brauchen sogar regelmäßig Zeit für sich. Alleinsein wird dann zum Problem, wenn es ungewollt und dauerhaft ist und ein erfüllendes Beziehungsgeflecht aus Familie, Freundeskreis und Kollegium fehlt. So wird Einsamkeit definiert. Das Gefühl lässt sich nicht qualitativ messen, es wird subjektiv und individuell empfunden. Inzwischen leiden so viele Menschen wiederholt oder anhaltend darunter, dass Großbritannien seit 2018 einen Staatssekretär, Japan seit 2021 einen eigenen Minister, und Deutschland im Berliner Bezirk Reinickendorf seit Februar 2024 zumindest eine erste Beauftragte benannt hat – für Einsamkeit. Zudem hat die Bundesregierung im Mai 2024 eine Strategie gegen Einsamkeit vorgelegt. Denn das Gefühl, dauerhaft allein und von anderen getrennt zu sein, birgt ein hohes Risiko, körperlich oder seelisch zu erkranken. 

 

Psychisch krank durch Einsamkeit

Studien haben nicht nur gezeigt, dass Einsamkeit etwa Herz- oder Demenzerkrankungen begünstigen kann. „Es können sich auch psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Essstörungen oder selbstverletzendes Verhalten bis hin zur Suizidalität entwickeln“, erklärt Michael Mauerer-Mollerus. „Deshalb ist es wichtig, nicht zu lange zu warten und sich frühzeitig etwa bei Beratungsstellen Hilfe zu holen“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Trägervereins ARGE, der zu den Gesellschaftern des Krisendienstes Psychiatrie Oberbayern  innerhalb der Krisendienste Bayern gehört.

„Fürchtet jemand, er beziehungsweise sie selbst oder ein anderer Mensch könnte aufgrund von Einsamkeit sogar in eine seelische Krise geraten, sind wir rund um die Uhr telefonisch erreichbar und bieten, wenn erforderlich, auch Hilfe durch ein mobiles Team an.“

Dieses kann eine erste Einschätzung geben, ob eine ambulante oder stationäre Behandlung erforderlich sein könnte. In anderen Bundesländern sind dafür häufig die Sozialpsychiatrischen Dienste in den Gemeinden zuständig. Bundesweite Beratungsstellen und Krisendienste listet etwa die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention.

 

Einsamkeit trifft Alt und Jung

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Einsamkeit
© pexels

Einsamkeit kann jeder Mensch in jedem Alter erfahren. Vor der Covid-19-Pandemie waren rund 14 Prozent aller Menschen in Deutschland davon betroffen, teilt das Kompetenznetzwerk Einsamkeit (KNE) mit. Es wurde 2022 als ein Baustein der Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit gegründet. Während der Pandemie sei der Anteil einsamer Menschen auf 42 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Auffällig daran ist nicht nur die Verdreifachung. Längst sind nicht mehr nur ältere Menschen betroffen, die aufgrund ihres Alters keine beruflichen Kontakte mehr haben, deren Freundeskreis verstirbt oder die durch Erkrankungen nicht mehr wie früher am Leben teilnehmen können. Gerade die Lockdowns während der Corona-Pandemie haben dazu beigetragen, dass sich insbesondere junge Menschen unter 30 Jahren einsam fühlten – fast jede zweite Person. Zu den Ursachen zählt, dass die vertrauten, persönlichen Treffen von einem Tag auf den anderen kaum mehr möglich waren und die Schulen schlossen. Soziale Medien haben den Austausch nur partiell ersetzt. Häufig hatten sie sogar zusätzlich negative Folgen, da das typische Vergleichen, Be- und Abwerten in Social Media gerade jüngeren Menschen stärker zusetzt. Die Erfahrungen der Pandemiezeit wirken immer noch nach. Nicht zuletzt deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im November 2023 Einsamkeit zur „Bedrohung für die Gesundheit“ erklärt, wogegen ebenfalls Strategien entwickelt werden sollen. 

 

Einsamkeit erzeugt massiven Stress

Einsamkeit kann in eine Depression münden. Umgekehrt bringe eine Depression wiederum Einsamkeitsgefühle mit sich, wie Michael Mauerer-Mollerus betont: „Mobbing und Gewalterfahrungen können ebenfalls dazu beitragen.“ Auch Lebensumbrüche wie der Umzug in eine neue Stadt, der erste Job nach der Ausbildung oder das Ende einer Beziehung können dazu führen, dass Menschen sich einsam fühlen. Wer dauerhaft von Emotionen wie Einsamkeit, Selbstzweifeln, Traurigkeit, innerer Leere, Angst oder Schuld belastet sei, erlebe „massiven Stress“. Stress wiederum gilt als wesentliche Gefahr für die körperliche und seelische Gesundheit. Er fördert Entzündungen, die Fähigkeit sich zu entspannen lässt nach, Schlafstörungen treten auf. Fast jeder Mensch kenne gelegentliche Einsamkeit, so Mauerer-Mollerus. Damit daraus kein anhaltender Zustand wird, empfiehlt der Experte, selbst aktiv zu werden und Beziehungen (wieder) aufzubauen (siehe Tipps). Denn wird Einsamkeit erst zum Symptom einer Depression, empfinden Betroffene oft eine Antriebsschwäche, die es ihnen zusätzlich erschwert, Kontakte zu anderen aufzunehmen. 

 

Diese 7 Tipps beugen Einsamkeit vor oder bauen sie ab:

01 Sorgen Sie rechtzeitig für ein gutes soziales Netzwerk mit Menschen, auf die Sie sich bei persönlichen Schwierigkeiten verlassen können. „Wenn mal richtig der Schuh drückt, dann rede ich viel mit meinem Umfeld“, sagt Michael Mauerer-Mollerus. „So ist es mir bis jetzt immer gut gelungen, mich von negativen Gedanken abzulenken oder mich auszutauschen.“

02 Ob singen, tanzen, wandern, joggen oder kochen: Was interessiert Sie, was würden Sie gerne mit anderen zusammen entdecken oder lernen? Für fast alle Aktivitäten gibt es Vereine oder Gruppen in der eigenen Stadt oder Gemeinde. 

03 Engagieren Sie sich ehrenamtlich. Möglichkeiten listen die Website ehrenamtssuche.de sowie die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt .

04 Sport und Bewegung mindern Stress, versorgen den Körper mit mehr Sauerstoff und können sogar Depressionen lindern oder vorbeugen. Selbst Spazierengehen.

05 Es kann sehr erfüllend sein, alte Kontakte zu reaktivieren – auch zu Menschen, die vielleicht längst in einer anderen Stadt oder einem anderen Land leben. Doch auch in der Nachbarschaft wohnen vielleicht Menschen, die ähnliche Hobbys mögen oder sich freuen, wenn ab und zu jemand mit ihrem Hund Gassi geht. Unter nebenan.de kann man sich mit der eigenen Nachbarschaft vernetzen. Und möglicherweise hat ja jemand die Leiter, die man gerade sucht, und außerdem Lust auf einen Kaffee.

06 Üben Sie sich in Selbstmitgefühl. Diese Methode aus den USA wird auch in Deutschland immer populärer und bringt einen in Kontakt mit den eigenen Bedürfnissen. So lässt sich entdecken, was einem guttut – und das dann vielleicht in einem Verein ausprobieren. Weitere Tipps gibt die Psychologin Christine Brähler in ihrem Buch „Neue Wege aus der Einsamkeit“. Darin hilft sie, dem eigenen Einsamkeitsgefühl mit mehr Wertschätzung zu begegnen und durch die Verbundenheit mit sich selbst wieder leichter in Kontakt mit anderen zu kommen.

07 Sie sind unsicher oder brauchen Unterstützung, um auf andere zuzugehen? Inzwischen haben sich zahllose Selbsthilfegruppen für Menschen gegründet, die unter Einsamkeit leiden. Ob sich eine in Ihrer Nähe befindet, erfahren Sie über die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) – per Telefon oder online in der Datenbank. Auch ein Anruf bei der Telefonseelsorge kann entlastend wirken und neue Orientierung geben. Haben Sie keine Energie dafür, wenden Sie sich an Ihren Hausarzt oder Ihre Hausärztin, um herauszufinden, ob Sie vielleicht bereits eine Depression entwickelt haben.