Unter psychischen Erkrankungen leiden nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen und ihr soziales Umfeld. Wie können sich nahestehende Personen einerseits um die Erkrankten kümmern – und andererseits sich selbst nicht aus den Augen verlieren? Fünf Tipps zur Selbsthilfe für Angehörige psychisch kranker Menschen, gesammelt von Manfred Desch, Vorstand des Landesverbands der Angehörigen und Freunde von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Hessen e.V.
Kontakt zu erfahrenen Angehörigen und Selbsthilfegruppen suchen
Niemand weiß besser, vor welchen Herausforderungen Angehörige von psychisch Erkrankten täglich stehen, als die Angehörigen selbst. Viele von ihnen haben sich deshalb in Selbsthilfegruppen organisiert, um sich und andere bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu unterstützen. Bundesweit existiert eine Vielzahl von Gruppen, die Austausch und Beratung zu vielen unterschiedlichen Erkrankungen und dem Umgang damit bieten. Um die richtige Gruppe zu finden, dient der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e. V. (BAPK) als gute Anlaufstelle. Auf deren Website findet sich ein bundesweites Verzeichnis von hilfreichen Initiativen und Institutionen, inklusive Kontaktdaten und Ansprechpersonen. Hier kann auch nach BAPK-Landesverbänden gesucht werden. Wer unabhängig von einer Gruppe die Möglichkeit zum Austausch sucht, kann im Curamenta-Forum Rat, Gleichgesinnte und Informationen finden.
Sich über Krankheiten informieren und bei der Behandlung engagieren
Das Wissen über die Krankheit, ihre Symptome und Therapieformen sowie Grundregeln des Verhaltens im Umgang mit den Betroffenen kann aus mehreren Gründen sehr hilfreich sein. Zum einen ist es für die Angehörigen bereits eine Erleichterung, wenn sie die Erkrankung selbst in gewissem Umfang einschätzen können. So sind sie nicht komplett von Ärztinnen und Ärzten abhängig. Curamenta informiert hierzu über Krankheitsbilder, Behandlungsmethoden und Diagnostik. Zum anderen zeigt die Erfahrung, dass sich das ärztliche und therapeutische Personal stärker für diejenigen Betroffenen einsetzt, deren Angehörige sich sichtbar bei der Behandlung engagieren.
Manfred Desch, Vorstand des Landesverbands der Angehörigen und Freunde von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Hessen e.V., empfiehlt auch das Buch „Angehörige in der Psychiatrie “. Aufschlussreich ist zudem das Blog von Janine Berg „Angehörige psychisch Kranker“, das viele über Jahre gesammelte nützliche Informationen und Erfahrungsberichte bietet. Weitere Lesetipps finden sich auf der BAPK-Webseite, wo neben zahlreichen Dokumenten zum Download auch Links zu hilfreichen Filmen geboten werden.
Die Telefonseelsorge nutzen – rund um die Uhr per Telefon, Internet oder App
Die Telefonseelsorge ist eine Institution für Menschen, die Unterstützung in schwierigen Zeiten benötigen. Das gilt auch für die Angehörigen psychisch Kranker. Seit über 60 Jahren bieten mittlerweile 8.000 Ehrenamtliche und 350 Hauptamtliche ihre Hilfe unter dem Motto „Wir sind für Dich da“ an. Bis auf die Telefonseelsorge Berlin wird die Institution in Deutschland von der evangelischen und der katholischen Kirche getragen.
Die Seelsorgerinnen und -sorger sind technisch mit der Zeit gegangen. Sie sind täglich rund um die Uhr telefonisch aus dem Fest- und Mobilfunknetz sowie im Internet und über die kostenlose App „KrisenKompass“ (für Apple und Android) erreichbar. Alle Anfragen, Gespräche und Chats bleiben dabei anonym. Die zentrale Telefonnummer lautet 116 123, die evangelische Telefonseelsorge ist unter 0800 111 011 und die katholische unter 0800 111 02 22 zu erreichen. Weitere Informationen bietet die Website der Telefonseelsorge.
Selbstkritisch sein, Anteil an der Krankheit nehmen und durchhalten
Psychische Erkrankungen sind komplex. Erfahrene Angehörige psychisch Erkrankter wissen das und legen Unerfahrenen eines dringend ans Herz: selbstkritisch bleiben und nicht vorschnell Urteile über die Erkrankten fällen. Durch solche Bewertungen kann es zum Rückzug der Angehörigen kommen, sobald die Situation zu schwierig wird und sie sich überfordert fühlen.
Die Aufrechterhaltung des Kontakts ist zentral für die Erkrankten. Auch wenn sie selbst Dinge tun, die das Verhältnis systematisch stören und die Unterstützung sabotieren – es ist die Krankheit, die sie dazu treibt. Angehörige, Freundinnen und Freunde sollten deshalb also immer versuchen, den Kontakt zu aufrechtzuerhalten, mag er noch so gering sein. Denn ist der Kontakt komplett abgerissen, hinterlässt das auch bei den Angehörigen und im sozialen Umfeld der erkrankten Person Leerstellen, die ihrerseits wieder zu seelischen Schäden führen können.
Sich engagieren und nicht auf die Selbsterkenntnis der Erkrankten warten
Viele psychisch Erkrankte leiden neben ihrer eigentlichen Störung unter einer weiteren: der Anosognosie, der fehlenden Einsicht der eigenen Erkrankung. Damit einher geht, dass sie weder selbst auf die Idee kommen, professionelle Hilfe zu suchen, noch sich an vereinbarte therapeutische Regeln halten. Sie nehmen beispielsweise ihre Medikamente nur noch unregelmäßig oder gar nicht mehr. Für die Angehörigen ist dies eine weitere Herausforderung: Sie müssen nicht nur damit leben, dass geliebte und vertraute Menschen, ihr Verhalten oft radikal verändern. Sie müssen auch das häufig noch tabuisierte und von Vorurteilen behaftete Thema von sich aus ansprechen und möglicherweise für andere einschneidende Entscheidungen treffen. Auswege aus dieser schwierigen Situation beschreibt der US-amerikanische Psychologie-Professor Xavier F. Amador in seinem lesenswerten Buch „Lass mich – mir fehlt nichts“. Die mangelnde Einsicht ist keine bewusste Entscheidung, sondern ein Symptom der Erkrankung. Deshalb ist es wichtig, den Kontakt gegen alle Widerstände aufrecht zu erhalten und alles dafür zu tun, dass Angehörige, Ärztinnen, Therapeuten und andere Beteiligten mit den Betroffenen eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen können.