Was ist eine Geschlechtsinkongruenz (Störung der Geschlechtsidentität)?
Der starke und anhaltende Wunsch, einem anderen Geschlecht als dem angeborenen anzugehören, ist ein Kennzeichen einer Geschlechtsinkongruenz (Störung der Geschlechtsidentität). Sie wird auch als Genderdysphorie oder Transsexualität bezeichnet. Das Gefühl, dem anderen Geschlecht anzugehören, tritt meist lange vor der Pubertät im Kindesalter auf. Es kann aber auch Erwachsene betreffen, die dieses Erleben möglicherweise lange verdrängt haben.
Als Folge interessieren sich Betroffene zum Beispiel für die Kleidung, die für das andere Geschlecht typisch ist, und beginnen, sich selbst an das typische Verhalten des anderen Geschlechts anzupassen. Später kann der Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung entstehen.
Wichtig: Dass die Betroffenen sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, wird überwiegend nicht mehr als psychische Störung betrachtet. Die Erscheinungsformen und Konzepte von Geschlecht sind vielfältig und individuell, auch die Zweiteilung des Geschlechts gilt als überholt.
Jedoch kann das Gefühl zu psychischen Erkrankungen wie Ängsten oder Depressionen führen, denn Betroffene haben einen hohen Leidensdruck.
Hier kommen Sie zu der Karte mit den Trägerstandorten.
Welche Symptome treten bei Kindern auf?
- Starkes Unbehagen in Bezug auf ihre angeborenen Geschlechtsmerkmale
- Starker und anhaltender Wunsch, alle oder einige Geschlechtsmerkmale loszuwerden oder nicht zu entwickeln
- Starkes Verlangen, die Geschlechtsmerkmale des Geschlechts zu haben, dem sich die Betroffenen zugehörig fühlen
- Bevorzugung von Kleidung, die für das andere Geschlecht typisch ist
- Im Spiel wird meist die andere Geschlechterrolle eingenommen
- Ablehnung von Spielzeug, Aktivitäten und Spielen, die der eigenen Geschlechterrolle zugeschrieben werden
- Bevorzugung von Spielzeug, Aktivitäten und Spielen, die für das andere Geschlecht typisch sind
- Anpassung des eigenen Verhaltens an das typische Verhalten des anderen Geschlechts
Bei Erwachsenen können diese Symptome auf eine Geschlechtsinkongruenz (Störung der Geschlechtsidentität) hinweisen:
- Betroffene in der Pubertät wollen die Entwicklung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale verhindern oder hinauszögern.
- Im höheren Alter haben sie den Wunsch, sich von den primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen zu befreien.
- Sie wünschen sich stark, die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale des gefühlten anderen Geschlechts zu haben.
- Sie haben den starken Wunsch, dem gefühlten Geschlecht anzugehören und auch dementsprechend behandelt zu werden.
- Sie glauben, die für das andere Geschlecht typischen Gefühle und Verhaltensweisen zu haben.
Woran erkenne ich, ob ich unter einer Geschlechtsinkongruenz (Störung der Geschlechtsidentität) leide?
- Ich fühle mich mit meinem angeborenen Geschlecht unwohl und kann mein Unwohlsein eindeutig darauf zurückführen
- Ich kleide mich gerne so, wie es für das andere Geschlecht typisch ist
- Ich fühle eine Abneigung gegen meine eigenen Genitalien
- Ich möchte so behandelt werden, als gehörte ich zum anderen, nicht angeborenen Geschlecht
- Ich spüre den starken Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung
Wie erkennt eine Ärztin oder ein Arzt, ob ich an einer Geschlechtsinkongruenz (Störung der Geschlechtsidentität) leide?
Ein eindeutiges Merkmal ist der starke und anhaltende Wunsch oder die bereits feststehende Überzeugung, dem anderen als dem angeborenen Geschlecht anzugehören. Damit einher geht alles, was für das eigene Geschlecht typisch ist, grundsätzlich abzulehnen – wie Verhalten, Spielsachen oder Kleidung. Stattdessen werden die typischen Merkmale des anderen Geschlechts bevorzugt. Auch die eigenen Genitalien erfüllen die Betroffenen mit starkem Unbehagen.
Die Ärztin oder der Arzt werden in intensiven Gesprächen mit den Eltern und den Kindern beziehungsweise den erwachsenen Betroffenen versuchen, die Symptome für die "Störung" zu erkennen. Dabei geht es vor allem darum, wie lange sie schon in welcher Intensität auftreten. Wichtig für die Behandelnden ist, eine psychische Erkrankung wie beispielsweise die Schizophrenie als Ursache für die Geschlechtsinkongruenz (Störung der Geschlechtsidentität) auszuschließen.
Auch wenn Angehörige die Gefühle und das Erleben von Betroffenen nicht unbedingt nachvollziehen können, ist es wichtig, dass sie ihnen Verständnis entgegenbringen. Ernst genommen zu werden nimmt Druck von den Betroffenen, der bei ihnen meist sehr hoch ist. Eltern sollten ihren Kindern zuhören und gemeinsam medizinischen Rat einholen. Angehörige von Erwachsenen, die sich im falschen Geschlecht fühlen, können ebenfalls durch ehrliches Interesse helfen. Selbsthilfegruppen können für beide Seiten unterstützend wirken. Eine erste Anlaufstelle für Austausch bietet auch das Curamenta-Forum.
Eine Heilung im Sinne einer Bekämpfung oder Umkehrung des Wunsches, einem anderen Geschlecht anzugehören, wird nicht angestrebt. Die Betroffenen benötigen meist eine psychotherapeutische Behandlung, die ihnen Gelegenheit gibt, sich mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität zu befassen. Die mindestens einjährige Therapie bietet darüber hinaus die Chance, die gefühlte Geschlechtsidentität so weit wie möglich zu erproben, also einem Alltagstest zu unterziehen. Die Therapeutin oder der Therapeut helfen den Betroffenen dabei, die Erfahrungen und Gefühle zu verarbeiten. Die Dauer der Therapie soll sicherstellen, dass nicht vorschnell unumkehrbare körperliche Veränderungen vorgenommen werden – sofern dies der grundsätzliche Wunsch ist. Sie sollte allerdings nicht zu spät angewendet werden, da der tiefe Konflikt, unter dem die Betroffenen leiden, auch zum Suizid führen kann.
Es gibt Fälle, in denen das Gefühl, im falschen Geschlecht geboren zu sein, nur punktuell auftritt und vorübergeht. Dies kann zum Beispiel in einschneidenden Entwicklungsphasen wie der Pubertät passieren. Im Unterschied zu einer solchen einmaligen Phase, sucht sich das Gefühl dem anderen Geschlecht anzugehören bei den Betroffenen immer wieder den Weg ins Bewusstsein, selbst wenn sie es stark verdrängen. Wer über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten Symptome empfindet, der sollte sich mit psychotherapeutischer Hilfe Gewissheit verschaffen.
Eine schlüssige Erklärung für eine Geschlechtsinkongurenz (Störungen der Geschlechtsidentität) gibt nicht, jedoch vielfältige Befunde ganz unterschiedlicher Fachgebiete. Dazu zählen beispielsweise die Molekulargenetik, Embryologie, Endokrinologie und die Neurowissenschaften. Für möglich gehalten werden Veränderungen an Genen, Testosteron im Fruchtwasser und geschlechtsdifferente Gehirnasymmetrien. Auch psychosoziale Effekte werden als Ursache in Erwägung gezogen.
Eine Geschlechtsangleichung, auch häufig Geschlechtsumwandlung genannt, ist ein Prozess, bei dem Menschen Schritt für Schritt das Geschlecht ändern. Sie besteht aus Hormonbehandlung und chirurgischen Eingriffen.
Kinder beziehungsweise Jugendliche müssen dafür mindestens 18 Jahre alt sein, eine Hormontherapie kann jedoch bereits ab 16 Jahren beginnen. Vorab ist eine Psychotherapie notwendig, damit ausgeschlossen werden kann, dass andere Erkrankungen oder Entwicklungsphasen den Wunsch einer Geschlechtsangleichung geprägt haben.
Erwachsene benötigen zwei Gutachten, die die Geschlechtsinkongurenz (Störung der Geschlechtsidentität) belegen. Eine Ärztin oder ein Arzt muss die Notwendigkeit einer Operation zudem bestätigen. Betroffenen wird darüber hinaus empfohlen, ein Jahr lang in der anderen Geschlechterrolle gelebt zu haben und eine Hormonbehandlung zu beginnen.
Darüber wird seit Langem debattiert. Bis 2018 zählte die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) eine Störung der Geschlechtsidentität zu den „psychischen und Verhaltensstörungen“. Dies wurde nun überarbeitet, auch aufgrund öffentlichen Drucks von Betroffenen, die sich diskriminiert und stigmatisiert fühlen. Fortan wird der Name „Geschlechtsinkongruenz“ geführt und die Einordnung als „sexueller Gesundheitszustand“ (englisch: sexual health condition) vorgenommen.
Die WHO verantwortet das internationale Klassifizierungssystem für Krankheiten (ICD), an dem sich Diagnosen orientieren. In deren neuer Version ICD-11 sind die obigen Anpassungen übernommen.