Am 10. Oktober ist „World Mental Health Day“ (zu Deutsch „Welttag für psychische Gesundheit“). Der weltweite Aktionstag will ein größeres Bewusstsein für psychische Gesundheit schaffen. Ein Ziel der Initiative der Weltgesundheitsorganisation und der World Federation for Mental Health ist, den Zugang zu therapeutischer Versorgung zu verbessern. Denn viele psychische Erkrankungen lassen sich gut behandeln. Während der Therapie lernen Patientinnen und Patienten, Angehörige und auch Behandelnde viel über sich selbst. Gleichzeitig sammeln sie Erfahrungen, was ihnen im Umgang mit ihrer Erkrankung hilft. Curamenta teilt in diesem Beitrag einige ihrer Erkenntnisse – um anderen Mut zu machen und ihnen zu helfen, neue Wege zu entdecken.
Was haben Patientinnen und Patienten für sich gelernt? Drei Beispiele von Betroffenen:
- Andreas, 39, leidet an Depressionen.
Auf den ersten Blick klingt das Vorhaben von Andreas kaum machbar, wenn er antriebslos und ohne Hoffnung im Gedankenkarussell feststeckt. Gemeint ist damit jedoch eine grundsätzliche Entscheidung: nämlich die, sich der Erkrankung nicht zu ergeben, sondern sich mit ihr auseinanderzusetzen, Hilfe zu suchen und das eigene Leben (wieder) zu verbessern. Dieser Schritt erfordert viel Energie, die man möglicherweise nicht hat. Man muss aber nicht alles allein schaffen – Angehörige können helfen, Termine zu organisieren, gemeinsam kann ein Plan entwickelt werden. Um Hilfe zu bitten ist ein Zeichen von Stärke. Viele psychische Erkrankungen sind gut behandelbar, ein weitgehend symptomfreies Leben ist erreichbar. Diese Aussicht kann Energie freisetzen.
- Nicole, 46, leidet an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Tage erscheinen schwarz, das Aufstehen gelingt kaum und Perspektiven sind auch nicht zu sehen. Oft gibt es aber doch etwas, das den Tag für einen Moment etwas heller werden lässt. Nicole ist davon überzeugt. Positive Momente lassen sich zum Teil bewusst schaffen. Eine Strategie aus der Selbsthilfe ist, sich mit Tätigkeiten abzulenken, in die man tief eintauchen kann: zum Beispiel Kochen, Sport oder Malen. Dabei machen die quälenden Gedanken Pause, im besten Fall erreicht man einen Flow-Zustand. Je nach eigenem Bedürfnis kann der Kontakt zu Menschen, bei denen man sich verstanden fühlt, wohltuend sein. Es ist zudem empfehlenswert, offen zu überdenken, was einem gut tut – und sich mutig von negativen Dingen zu lösen.
- Simone, 53, leidet an Alkoholabhängigkeit
Viele psychisch Erkrankte empfinden sich selbst als Belastung für ihre Umwelt, schämen sich für ihre Erkrankung und sehen sich in einem negativen Licht. Zu Unrecht, wie Simone für sich erkannt hat. Jeder Mensch ist wertvoll, eine Krankheit ändert daran nichts. Sich diesen Wert immer wieder bewusst zu machen, hilft dabei, sich (wieder) mehr wertzuschätzen und für das eigene Wohl einzusetzen. Ein gesunder Selbstwert fördert die Lebensqualität, Zufriedenheit und Gesundheit. Selbstwert zu entwickeln und zu stärken ist also immer eine gute Entscheidung.
Angehörige von Erkrankten sind direkt mitbetroffen. Mit welchen Einsichten helfen sie sich? Drei Beispiele:
- Sabine, 41, ihr Ehemann leidet an Spielsucht
Eine psychische Erkrankung betrifft immer auch das nahe Umfeld der erkrankten Person. Angehörige finden sich meist in einer Situation wieder, in der sie unbedingt helfen wollen und gleichzeitig hilflos sind. Häufig liegt es daran, dass eine psychische Erkrankung sie unvorbereitet trifft, die Wege zu verlässlicher Information und vor allem in die Versorgung nicht so einfach sind. Und wie verhält man sich gegenüber der erkrankten Person? Schnell entsteht das Gefühl, mit allem vollkommen allein zu sein. Es gibt jedoch viele Anker, wie Sabine erkannt hat: Neben den eigenen engen Vertrauten auch Hausärztinnen und -ärzte, Selbsthilfegruppen, die Telefonseelsorge, Accounts und Gruppen in Social Media oder zum Beispiel das Curamenta-Forum. Der wichtigste Schritt, den man als angehörige Person gehen sollte: Sich erlauben, nicht alleine mit allem zu bleiben.
- Marco (28) und Katja (27), ihr Kind leidet an einer Anpassungsstörung
Erkrankt zum Beispiel das eigene Kind, ist es wichtig, ihm zu vermitteln: Wir sind da für dich, egal, was ist. Genauso wichtig ist jedoch, dass auch Eltern und/oder andere Angehörige sich gegenseitig dieses Gefühl geben. Daraus schöpfen diese Eltern Kraft, denn: Ein starker Zusammenhalt entlastet. In Phasen, in denen der eine keine Energie mehr hat, kann der andere sich stärker engagieren – und umgekehrt.
- Jonas, 39, seine Partnerin leidet an starken Depressionen und Angststörungen
Viele Menschen bitten nicht gerne um Hilfe. Doch nirgendwo steht geschrieben, dass man alles alleine schaffen muss. Erst recht nicht in einer Ausnahmesituation, die eine psychische Erkrankung im unmittelbaren Umfeld zunächst darstellt. Sucht man sich Hilfe – sei es bei der Bewältigung der Belastung oder bei Alltagsaufgaben – ist das kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Das sagt sich Jonas immer wieder. Wer weiß, wie viel er oder sie bewältigen kann und wofür Unterstützung nötig ist, hat eine gesunde Selbsteinschätzung und kann danach handeln. Diese Art der Selbstfürsorge ist wichtig, um gesund und leistungsfähig zu bleiben – und für andere da zu sein.
Behandelnde therapieren und nehmen Anteil. Was können sie sich selbst dabei zu Herzen nehmen? Drei Einsichten:
- Dr. Elise Schmidt, 61, Psychotherapeutin
Medizinische und therapeutische Behandlerinnen und Behandler widmen sich tagtäglich der Aufgabe, Patientinnen und Patienten auf dem Weg der Heilung zu unterstützen. Dabei sind sie oft schwierigen Situationen ausgesetzt. Sie bekommen den hohen Leidensdruck der Erkrankten ungefiltert mit und gehen mit ihnen durch Höhen und Tiefen. Gerade in der intensiven menschlichen Betreuung ist es normal, dass sich dabei auch die eigenen Gefühle melden, wie Dr. Schmidt weiß. Man ist eben nicht nur Behandlerin oder Behandler, sondern auch ein Mensch, der nicht vor dem Sprechzimmer abgelegt wird. Dies anzuerkennen und anzunehmen, entlastet.
- Dr. Hermann Gerland, 59, Psychiater
Eine gesunde Distanz zum Beruf zu finden, ist gerade im Bereich der psychiatrischen Versorgung wichtig – wenn nicht sogar notwendig. Wer empathisch und zugewandt mit vollem Einsatz für die Patientinnen und Patienten da ist, nimmt manchmal Themen gedanklich mit nach Hause. Abgrenzung ist nötig, um die eigene mentale Gesundheit zu erhalten. Sport und Bewegung eignen sich sehr gut als Mittel zum „Abschalten“, hat Dr. Gerland festgestellt. Nebenbei tun sie auch dem Körper gut.
- Nadja Sommer, 29, Gesundheits- und Krankenpflegerin
Im hektischen und meist übervollen Arbeitsalltag warten Tausende Pflichten. Hinzu kommen Familie und Freizeit, die organisiert werden wollen. Es ist nicht leicht, in dieser Gemengelage die eigenen Bedürfnisse zu hören – und sie auch durchzusetzen. Dabei benötigt jeder und jede Zeit zum Auftanken, für die eigenen Lieblingsaktivitäten und um etwas für Körper und Seele zu tun. Hier wird Nadja Sommer jetzt aktiver. Denn wer sich Freiräume schafft, ist ausgeglichener und zufriedener. Dafür ist zentral, ein wichtiges Wort häufiger in den Mund zu nehmen: Nein.