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„Schizophrenie ist immer noch ein großes Tabu“

Für Außenstehende gehört sie zu den rätselhaftesten psychischen Erkrankungen, in den Kliniken jedoch zu einer der häufigsten: Schizophrenie. Neue Erkenntnisse helfen, die Risikofaktoren für ihre Entstehung besser zu verstehen und die Therapie individueller zu gestalten. Vitos Weil-Lahn im Landkreis Limburg-Weilburg setzt dazu seit 2021 auch auf „stationsäquivalente Behandlung zu Hause.“

 

„Das ist ja schizophren!“ So sagen Menschen manchmal spontan, wenn ihnen etwas absurd, widersprüchlich oder unvereinbar erscheint. Der umgangssprachliche Ausdruck hat sich vom Krankheitsbild der „Schizophrenie“ abgeleitet. In der Öffentlichkeit wurde die Erkrankung lange damit verbunden, dass Betroffene eine „gespaltene Persönlichkeit“ hätten, also zwei unvereinbare Seiten. Dieser Mythos wird erst allmählich entkräftet, obwohl es sich um eine der häufigsten Erkrankungen in der Psychiatrie handelt – und um eine der herausforderndsten zugleich.

Der Bezug zur Realität geht verloren

Im Unterschied zu „Neurosen“ wie Angsterkrankungen oder Depressionen, verlieren Patientinnen und Patienten dabei zumindest zeitweise den Bezug zur Realität – besonders in einer akuten, wahnhaften Phase. Sie sind überzeugt, dass etwa der Nachbar sie verfolgt oder die Nachrichtensprecherin ihnen persönliche Botschaften zukommen lässt – und sind nicht davon abzubringen. Oft kommen optische und vor allem akustische Halluzinationen hinzu. So haben Betroffene unter anderem den Eindruck, eine Stimme in ihrem Kopf beschimpfe sie oder ordne an, was sie zu tun hätten. Dadurch ist der eigene Wille, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten, stark geschwächt. Was ihnen als „wahr“ erscheint, passt nicht mehr zu dem, was andere Menschen als „Realität“ empfinden, es „spaltet sich ab“. Daher der Name der Störung, der sich zusammensetzt aus dem griechischen Wort „schízein“, was „spalten“ bedeutet, und dem Wort „phrén“ für „Geist“ oder „Gemüt“.

 

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Schizophrenie
Foto: © Pexels

Erkrankten fehlt das Bewusstsein, krank zu sein

Zudem erfasst eine Schizophrenie die gesamte Persönlichkeit: neben der Wahrnehmung also auch das Denken, zum Teil das Fühlen und Handeln der Betroffenen. Das setzt ihre Lebensqualität stark herab. Außenstehenden fällt meist an bizarren Äußerungen, seltsamem Verhalten und sozialem Rückzug auf, dass etwas nicht stimmt. Die Erkrankten selbst meinen oft, dass ihnen nichts fehlt. Oder sie werten Hilfsangebote eher als weiteren Beweis dafür, dass sie bedroht werden und etwa Ärztinnen und Ärzte sie vergiften wollten. „In der akuten Phase der Schizophrenie, der psychotischen Phase, muss deshalb zunächst das Vertrauen der Betroffenen in die Notwendigkeit einer Behandlung hergestellt werden“, erklärt Prof. Dr. Christoph Fehr, Direktor der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im hessischen Hadamar . Medikamente seien dann meist erforderlich, „um Ängste und Fehlwahrnehmungen zu lindern.“ Psychotherapeutische Verfahren und soziales Kompetenztraining unterstützen Patientinnen und Patienten dabei, mit ihrer Erkrankung umzugehen.

 

Selbstständig leben ist möglich

„Die allermeisten Betroffenen können mit der Erkrankung ein selbstbestimmtes Leben führen“, ergänzt der Mediziner. Für stärker beeinträchtigte Betroffene gebe es etwa betreutes Wohnen, auch in einer Wohngruppe oder einem Wohnheim. „Ich möchte aber betonen“, so Fehr, „dass viele Betroffene selbstständig einer Tätigkeit nachgehen können.“ Um die Unabhängigkeit zu bewahren, sei es wichtig, gerade Menschen, die zum ersten Mal erkranken, besondere Hilfsangebote zu machen. Wie etwa eine individualisierte Arzneimitteltherapie, um unnötige, nicht verträgliche Medikationen zu vermeiden, Unterstützung, um weiterhin in der eigenen Wohnung zu leben, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, das Erreichen einer beruflichen Qualifikation. „Diese Erkenntnis ist neu“, sagt Fehr und verweist auf ein besonderes Angebot bei Vitos Weil-Lahn: „2021 haben wir dort die stationsäquivalente Behandlung ,Vitos Behandlung zu Hause‘ eingeführt.“ Akut erkrankte Betroffene werden von Ärzten, Ärztinnen, Therapeuten und Therapeutinnen in ihrem gewohnten Umfeld aufgesucht, was zur Stabilisierung beiträgt.

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Selbstständig
Foto: ©  Pexels

Zusammenspiel von Faktoren als Ursache

Einer Schizophrenie liegt stets eine Störung des Nervenstoffwechsels zugrunde. Wie diese entsteht, wird weiterhin erforscht. Erwiesen ist, dass verschiedene Faktoren zusammenspielen. Neben der genetischen Veranlagung sind dies zum Beispiel Umweltfaktoren wie Schwangerschaftsinfektionen und Geburtskomplikationen, Mangelernährung, Gewalterfahrungen in der Kindheit und andere Traumata. „Typischerweise beginnt die Erkrankung zwischen 16 und 30 Jahren“, erklärt Christoph Fehr. Starke psychische Belastungen können sie potenziell auslösen, aber auch ein häufiger, intensiver Cannabiskonsum im Teenageralter: „Er kann das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, um das Zwei- bis Dreifache steigern“, betont der Psychiater.

 

Schizophrenie betrifft ein Prozent der Menschen

Etwa ein Prozent der Bevölkerung macht einmal im Leben eine Phase der Schizophrenie durch, bei „75 Prozent davon kommt es zu einem zweiten Schub oder auch multiplen Phasen“, so Fehr. Umso wichtiger sei die medikamentöse Einstellung, um einem Rückfall vorzubeugen. Klingt die akute, psychotische Phase ab, kann es zu einer „Restphase“ kommen. Sie wird häufig von Depressionen und damit erhöhter Suizidgefahr begleitet. „Die verkürzte Lebenserwartung beruht aber auch darauf, dass bei Patienten und Patientinnen mit Schizophrenie körperliche Erkrankungen gehäuft auftreten“, führt Fehr aus. Dazu gehörten Herz-Kreislauferkrankungen, Lungenleiden und Tumorerkrankungen – viele Erkrankte rauchen überdurchschnittlich viel. „Betroffenen sollte es deshalb ermöglicht werden, eine Tabakentwöhnung zu machen“, sagt Prof. Fehr.

Obwohl Schizophrenie eine komplexe Erkrankung darstellt, die auf genetischer Veranlagung und Umwelteinflüssen beruht, trauen sich Betroffene kaum, ihre Krankheit öffentlich zu machen: „Es handelt sich immer noch um ein großes Tabu.“ Darunter leiden nicht nur die Erkrankten selbst, sondern auch deren Angehörige. Die Autorin Janine Berg-Peer hat ein Buch über den Umgang mit der Schizophrenie ihrer Tochter geschrieben . Ihre Empfehlung: Die Realität anerkennen, nicht dagegen ankämpfen und dem eigenen Kind dabei zu helfen, möglichst selbstständig zu werden.

 

Artikel zur Schizophrenie

Hier finden Sie einen weiteren Artikel zur Schizophrenie, ihren Ursachen, Schweregraden und Therapieansätzen