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Psychisch gesund in der Grundschule

Mehr als die Hälfte aller psychischen Erkrankungen entstehen bereits in Kindheit und Jugend. Unbehandelt werden sie nicht selten chronisch. Umso wichtiger ist es für Eltern, Lehrkräfte und andere Bezugspersonen, Symptome und Warnsignale zu kennen, die bei Grundschulkindern auf eine psychische Störung deuten können. Ein neuer Ratgeber gibt dazu wertvolle Hinweise.

 

Tag der Einschulung! Eine große Tüte mit Süßigkeiten und ein eigener Ranzen! Endlich auch zu den „Großen“ gehören! Wenn Kinder in die Grundschule kommen, ist das für viele ein Grund zur Freude. Sie wachsen daran, dass sie nach einer Zeit des spielerischen Lernens im Kindergarten jetzt zwar stillsitzen und ruhig sein müssen – aber auch Lesen und Schreiben lernen und sich die Welt selbst erschließen können.

Immer mehr Kindern jedoch fällt dieser Übergang schwer. Sie entwickeln psychische Störungen oder diese waren bereits vorhanden und werden nun sichtbarer: Angsterkrankungen, Depressionen, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom), Störungen des Sozialverhaltens (Anpassungsstörung) sowie Lernstörungen treten dabei am häufigsten auf. Eine Studie der Barmer Krankenkasse von 20191 ergab, dass sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen in psychotherapeutischer Behandlung binnen elf Jahren mehr als verdoppelt hat. Langzeituntersuchungen haben gezeigt, dass jedes fünfte Kind in Deutschland innerhalb eines Jahres an einer psychischen Störung erkrankt. Die Einschränkungen während der Corona-Pandemie haben die Situation weiter verschlechtert.

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Blog Grundschule
Foto von RODNAE productions (Pexels)

 

Wachsamkeit gegenüber Erkrankungen ist gestiegen

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Kind Maske
Foto von Tima Miroshnichenko (Pexels)

"Gerade die Corona-Krise hat Kinder enorm belastet", sagt Dr. Ingo Spitczok von Brisinski, Chefarzt Abteilung 1 und Fachbereichsarzt Kinder- und Jugendpsychiatrie an der LVR-Klinik Viersen. Zugleich ist er überzeugt, dass es nicht mehr psychisch auffällige Kinder gibt als früher: „Mein Eindruck ist eher, dass Eltern heute wachsamer sind und das Fachpersonal in Kitas und Schulen mehr weiß“, sagt der Mitautor eines aktuellen Ratgebers zu diesem Thema. Allgemein ist das Bewusstsein für psychische Erkrankungen gestiegen. Da mehr als die Hälfte davon bereits im Kindes- und Jugendalter entstehen, ist rechtzeitiges Hinsehen und Handeln wichtig. So können Eltern und andere Bezugspersonen dazu beitragen, dass sich eine solche Erkrankung nicht chronifiziert und dem Kind den Weg in ein gesundes Erwachsenenleben ebnen.

 

Warnhinweise im Grundschulalter

Mit dem Wechsel in die Grundschule erleben Kinder ganz neue Herausforderungen: Sie müssen von nun an Leistungen erbringen, mit Rückschlägen zurechtkommen und sich in einem neuen sozialen Gefüge einleben und behaupten. Dass sich Kinder bei diesem Entwicklungsschritt in manchen Situationen anders als gewohnt verhalten, ist ganz normal. Es gibt jedoch eine Reihe von Verhaltensweisen, die auf eine psychische Störung hindeuten:
 

Körper und Kontrolle
  • Auffällige Bewegungs- und Sprachmuster
  • Ausgeprägte Schlafstörungen, wiederholtes Schlafwandeln, häufige Alpträume
  • Selbstverletzungen mit Gegenständen, Ausreißen der Haare, Abzupfen der Haut
  • Einnässen oder Einkoten bei Kindern, die bereits trocken waren
  • Anhaltende Bauchschmerzen, Übelkeit oder Müdigkeit ohne körperliche Ursache
     
Stimmung und Wahrnehmung
  • Passivität, gedrückte Stimmung, mangelnde Energie
  • Reizbarkeit, Wutanfälle, Impulsivität, schnell wechselnde Stimmungen
  • Bewegungsdrang, Unruhe, Zappeln
  • Geringes Selbstvertrauen, Schuldgefühle, Gefühl der Wertlosigkeit
  • Konzentrationsprobleme
     
Ängste und Sorgen
  • Starke Ängste aller Art, z.B. Trennungsangst, Leistungsangst, soziale Ängste, übertriebene Ängste vor Tieren, Situationen oder Fantasiefiguren, Angst vor der Schule
  • Sorgen und Grübeln
     
Beziehungen und Verhalten
  • Zu angepasstes Verhalten, extreme Rücksicht, keine eigenen Wünsche
  • Soziale Isolation, Rückzug, Desinteresse
  • Suchtverhalten
  • Ständige Wiederholungen von Aktionen wie z.B. Waschen, Aufräumen
  • Keine Akzeptanz von sozialen Regeln, z.B. Diebstahl, Lügen
  • Gewalttätiges Verhalten

 

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Kind traurig
Foto von RODNAE productions (Pexels)

Hinweise auf eine Lernstörung

Eine Lernstörung wie Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Störung) oder Dyskalkulie (Rechenstörung) könnte vorliegen, wenn ein Kind Schwierigkeiten mit dem Lesen hat, es vermeidet, zu schreiben oder vorzulesen, selbst einfache Rechenschritte nicht nachvollziehen kann oder Mühe hat, die Uhr abzulesen. Betroffene Kinder entwickeln nicht selten zusätzlich eine psychische Störung, weil sie sich schämen, Angst vor dem Lesen und Rechnen haben (Angststörung bin hin zu Panikattacken) oder sich wertlos fühlen (Depressive Störung).

 

Eingewöhnungsphase oder psychische Störung?

Haben Eltern oder andere Bezugspersonen den Eindruck, ein Grundschulkind befindet sich in psychischer Not, sollten sie vermeiden, Druck aufzubauen. Diesen erlebt das Kind bereits ohnehin, was zum Auftreten der Symptome beigetragen hat. Ein Gespräch mit den Lehrkräften des Kindes kann Eltern helfen, eigene Eindrücke richtig einzuschätzen: Alles nur eine Eingewöhnungsphase oder aber vielleicht doch eine psychische Störung? Dr. Ingo Spitczok sagt:

„Eltern sollten bei anhaltenden Auffälligkeiten nicht zu lange warten, auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist ein Irrglaube, dass diese sich einfach so wieder auswachsen."

Erste Ansprechpersonen sind in der Regel Kinderärztinnen und Kinderärzte, Kinderpsychiaterinnen und -psychiater oder auch Kinderpsychotherapeutinnen und -therapeuten. Sie können einschätzen, ob tatsächlich eine behandlungsbedürftige Störung vorliegt und wenn ja, welche Therapie (ambulant, tagesklinisch oder vollstationär) am hilfreichsten ist. Äußert ein Kind, nicht mehr leben zu wollen, bekommen Eltern in der Notfallsprechstunde einer Kinder- und Jugendpsychiatrie unmittelbare Unterstützung und Hilfe.

 

Die Familie prägt

„Psychische Erkrankungen finden immer im System Familie statt“, ergänzt Dr. Spitczok von Brisinski, „das Gesundwerden ist eine Gemeinschaftsaufgabe.“ Dazu gehört, sich ohne Schuldzuweisung die möglichen Ursachen für das seelische Leid eines Kindes anzuschauen. Genetische Veranlagungen können ein Auslöser sein – etwa ein Drittel der Kinder mit einem psychisch kranken Vater, einer psychisch kranken Mutter, entwickeln selbst eine seelische Störung. Auf eine eigene chronische körperliche Erkrankung oder die eines Elternteils können Kinder ebenfalls mit einer psychischen Störung reagieren. Besonders die Erfahrungen der ersten Lebensjahre sind prägend und können das Entstehen einer psychischen Störung begünstigen. Kinder, die emotionalen Mangel und Vernachlässigung erlebt haben, benötigen später besonders viel Zuwendung und Kraft, um sich psychisch gesund zu entwickeln. Das gilt vor allem für traumatische Erfahrungen wie körperliche oder seelische Misshandlung oder Missbrauch. Betroffene Kinder sind häufig im späteren Leben psychisch weniger belastbar, insbesondere, wenn sie nicht frühzeitig therapeutische Unterstützung bekommen.

 

1 Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/kinder-psychotherapie-101.html
Hilfe Angehörige

Unterstützung für Eltern

Im LVR-Ratgeber „Psychische Gesundheit im Schulkindalter“ finden Sie weitere Informationen, wie Sie Unterstützung erhalten, wie Sie sich gegenüber Ihrem Kind verhalten sollten und welche Websites und Bücher Wissen zum Thema vermitteln.