Bei einer akuten psychischen Krise ist oft eine stationäre Behandlung angezeigt. Einige Vitos Kliniken bieten jedoch alternativ die Möglichkeit an, die Therapie im eigenen Zuhause durchzuführen. Vieles spricht für diese „Stationsäquivalente Behandlung“, kurz „StäB“. Für wen sie sich eignet und wie sie abläuft, erklärt dieser Beitrag.
Die Angst, nicht zu genügen, kannte Jan F. schon sein ganzes Leben. In der Schule bekam er Panikattacken, wenn er ein Referat halten sollte. Später im Job fühlte er sich überfordert von den wachsenden Anforderungen. Nachts lag er grübelnd wach, bis er eines Morgens zu antriebslos war, um zur Arbeit zu gehen. Stattdessen suchte er seinen Hausarzt auf, der ihm riet, sich in der psychiatrischen Ambulanz einer Klinik vorzustellen. Mit der Diagnose „Schwere Depression und Angsterkrankung“ wäre er sofort stationär aufgenommen worden. Doch es gab eine Alternative, für die sich Jan F. gerne entschied: die Vitos Behandlung Zuhause Kurhessen (auch „Stationsäquivalente Behandlung“ oder „Home Treatment“ genannt). Im Kern also eine Therapie Zuhause, in seinem vertrauten Umfeld.
Behandlungsformen
Die vertraute Umgebung gibt Sicherheit
„Nicht für alle Menschen ist eine stationäre Aufnahme in einer Krisensituation hilfreich. Diesen Patientinnen und Patienten bieten wir eine intensive Behandlung in gewohnter Umgebung an“, sagt Dr. Matthias Bender, Ärztlicher Direktor des Vitos Klinikums Kurhessen. Für Betroffene hat diese Option viele Vorteile.
Der Kontakt zu Nachbarinnen und Nachbarn, Freundinnen und Freunden sowie der Familie kann unterstützend wirken. Leben Kinder oder ältere Menschen im gleichen Haushalt, kann die Aussicht, nicht in die Klinik zu müssen, zusätzlich entlastend wirken. Auch für ältere Menschen oder Demenzerkrankte ist ein Ortswechsel oft schwierig und kann psychische Symptome noch verstärken. Das ist ein Grund dafür, warum sich die stationsäquivalente Behandlung auch an Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner richtet. Zugleich erhöht sich oft die Bereitschaft zur Therapie, wenn ein psychisch erkrankter Mensch ihr oder sein Zuhause nicht verlassen muss.
Ein multiprofessionelles Team betreut Erkrankte
Um die Patientinnen und Patienten kümmert sich ein multiprofessionelles Team aus Fachärztinnen und -ärzten, Psychologinnen und Psychologen, Pflegefachkräften, Therapeutinnen und Therapeuten, Mitarbeitenden des Sozialdienstes und wenn nötig Fachpersonen für Spezialtherapien wie Ergotherapie oder Physiotherapie. So hatte Jan F. täglich intensivpsychiatrische Unterstützung zu Hause: Eine Ärztin, ein Oberarzt und eine Psychologin übernahmen die „Visite“ und die medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung seiner Depression und Angsterkrankung. Mit einer Pflegefachkraft schuf sich Jan F. neue Strukturen für den Alltag. Sie halfen ihm, zunächst kleine und dann immer größere Aufgaben zu bewältigen und auch Zeit für positive Aktivitäten zu finden. In der Ergotherapie wurden seine körperlichen, psychischen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten gestärkt. Durch den engen Kontakt hatte er jederzeit Gelegenheit, Fragen zu stellen und sich bei Unklarheiten direkt helfen zu lassen. Nach drei Monaten fühlte sich Jan F. bereit, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Mit einem Sozialarbeiter der Klinik plante er seine berufliche Wiedereingliederung, sein Arbeitgeber unterstützte ihn dabei.
Über die Behandlung Zuhause wird individuell entschieden
Seit 2018 gehört die „Stationsäquivalente psychiatrische Behandlung“ zum Leistungsspektrum der Gesetzlichen Krankenkassen. Ob sie in einer akuten psychischen Krise in Frage kommt, entscheiden die behandelnden Ärztinnen und Ärzte der jeweiligen Klinik. Nicht angeraten ist das „Home Treatment“ bei Eigen- oder Fremdgefährdung und bei einer zusätzlichen schweren körperlichen Erkrankung. Die Vitos Kliniken ¬für Psychiatrie und Psychotherapie befürworten die Behandlung Zuhause in der Regel bei Patientinnen und Patienten, die in der Nähe wohnen und deren Diagnose andernfalls eine stationäre Aufnahme erfordern würde.
Das engmaschige Angebot gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 18 Jahren. Täglich erhalten die Patientinnen und Patienten Besuch von einem der Teammitglieder, auch am Wochenende oder an Feiertagen. In Notfällen sind die medizinischen Fachkräfte über eine Telefonnummer immer erreichbar. Damit geht die „Stationsäquivalente psychiatrische Behandlung“ in Dichte und Umfang über die bereits zuvor üblichen Hausbesuche hinaus. Besonders Kinder und Jugendliche profitieren davon, in einer labilen Phase wie einer psychischen Erkrankung weiter im familiären Umfeld leben zu können und ihre Eltern in der Nähe zu wissen – sofern dies nicht kontraproduktiv ist, wie es etwa bei Essstörungen der Fall sein kann. Auch muss das Zuhause grundsätzlich für „StäB“ geeignet sein. Alle anderen Familienmitglieder müssen der Behandlung Zuhause zustimmen, da diese sich häufig über Wochen hinzieht und den Alltag aller beeinflusst.
Der Übergang ins selbstständige Leben ist sanfter
Das Home Treatment kann eine stationäre psychiatrische Behandlung nicht nur ersetzen, sondern auch abkürzen. Prof. Dr. Michael Franz, Ärztlicher Direktor am Vitos Klinikum Gießen-Marburg sagt:
Wird die Behandlung zu Hause durch ein interdisziplinäres Team fortgesetzt, dessen Mitglieder die Patientin oder der Patient zumindest zum Teil schon kennt, gelingt der Übergang ins eigene Leben oft sanfter und besser. Prof. Michael Franz ergänzt: