Von Stimmungsschwankungen bis zu Depressionen: Die Wechseljahre können für Frauen körperlich und psychisch eine herausfordernde Zeit sein. Was sie in dieser Phase unterstützt und ihnen sogar neue Perspektiven eröffnen kann, schildern Susanne Liedtke, Gründerin der Online-Plattform Nobodytoldme und die Psychologin Alexandra Zäuner, die sich dort ebenfalls engagiert.
Frau Liedtke, welche Veränderungen können auf Frauen in den Wechseljahren zukommen?
SL: In den Wechseljahren nehmen die weiblichen Hormone Östrogen und Progesteron ab. Dadurch kann es zu insgesamt mehr als 30 möglichen Symptomen kommen. Auf körperlicher Ebene etwa Schlafstörungen, Hitzewallungen, Schweißausbrüche, innere Unruhe, Haarausfall, Libidoverlust und Scheidentrockenheit, um die bekanntesten zu nennen. Eine ,Frozen Shoulder‘, also eine steife Schulter, kann ebenfalls hormonell bedingt sein, sie tritt besonders oft bei Frauen in den Wechseljahren auf. Ich hatte das selbst. Was viele nicht wissen: Auch urogenitale Beschwerden wie wiederkehrende Harnwegsinfekte können in den Wechseljahren auf hormonellen Veränderungen beruhen und sollten entsprechend behandelt werden. Erst seit einigen Jahren spricht man hier vom ,urogenitalen Menopausensyndrom‘.
Welche Symptome gibt es auf psychischer Ebene, Frau Zäuner?
AZ: Typisch sind Stimmungsschwankungen mit Momenten der Niedergeschlagenheit und andererseits plötzlichen Wutausbrüchen. Auch Ängste können vermehrt auftreten. Manche Frauen klagen über Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit. Das wiederum kann eine Folge von Schlafstörungen sein, die in den Wechseljahren auch häufiger werden. Es gelingt zwar einzuschlafen, aber die betroffenen Frauen wachen frühmorgendlich auf und bleiben wach. So fehlt ihnen auf Dauer genügend Schlaf und die damit verbundene Erholung. Das beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit, ob im Job oder familiär, und es kann eine Erschöpfungssymptomatik bis hin zum Burnout entstehen. Gleichzeitig nehmen Belastungsfaktoren zu, zum Beispiel die körperlichen.
Wie oft kommt das vor?
SL: Grundsätzlich kann man sagen, dass ein Drittel der Frauen keine Beschwerden hat, ein Drittel hat Beschwerden, körperlich oder seelisch. Und ein weiteres Drittel erlebt eine starke Beeinträchtigung.
Frau Zäuner, Sie sprachen von Belastungsfaktoren. An welche dachten Sie?
AZ: Die körperlichen und seelischen Veränderungen an sich können bereits belastend sein. Zu wenig Schlaf macht dünnhäutig und insgesamt weniger tatkräftig und leistungsfähig. Treten dann im Meeting oder in einer Präsentation Hitzewallungen auf, der Kopf wird rot und es bricht einem der Schweiß aus, oder es fällt einem plötzlich etwas Wichtiges nicht mehr ein, belastet das zusätzlich. Man erkennt sich selbst nicht mehr. Zumal all das plötzlich geschieht und die Frauen erleben müssen, keine Kontrolle darüber zu haben. Hinzu kommen Veränderungen im privaten Leben: Die Kinder sind groß und gehen aus dem Haus, die Partnerschaft rückt in den Fokus und die Frage, ob sie noch stimmig ist. Die eigenen Eltern werden älter und brauchen vielleicht Hilfe. Erkrankungen im Freundeskreis nehmen zu, die Endlichkeit des Lebens rückt stärker ins Bewusstsein. Es strömt sehr viel in dieser Zeit gerade auch auf Frauen ein. Deshalb nennt man diese Lebensphase auch die ,Rushhour des Lebens‘.
SL: Frauen empfinden zudem körperliche Veränderungen wie trockene Haut oder dass die Haare ausfallen und dünner werden als besonders unangenehm. Verbunden mit dem Ende der Fruchtbarkeit fürchten sie, weniger attraktiv zu sein, nicht mehr gesehen oder auch nicht mehr gebraucht zu werden. Gerade schrieb mir eine Frau in der Community von Nobodytoldme, sie sei von ihrem Mann ,gegen eine 20 Jahre jüngere Frau ausgetauscht worden‘. All das kann seelisch sehr beeinträchtigend sein.
Wo liegt die Grenze zu einer psychischen Erkrankung?
AZ: Das ist abhängig von der Dauer, der Schwere und der Art der Beeinträchtigung. Zieht eine Frau sich immer mehr zurück, vernachlässigt Freundinnen und Freunde, Partnerschaft und Hobbys, weil sie mit sich und der Situation hadert? Je mehr Belastungsfaktoren zusammenkommen, umso vulnerabler, also verletzlicher, wird der Mensch. Damit sinkt die seelische Widerstandsfähigkeit, die Resilienz, und die Wahrscheinlichkeit nimmt zu, dass eine psychische Erkrankung entsteht.
Welche psychischen Erkrankungen können auftreten?
AZ: Erschöpfungszustände, Depressionen und Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in den Wechseljahren. Die hormonelle Veränderung führt dazu, dass mit dem Östrogenspiegel auch die Verfügbarkeit des Glückshormons Serotonin abnehmen kann. Zudem neigt ein Teil der Frauen dazu, aufgrund all der Veränderungen viel zu grübeln und dem ,alten Leben‘ nachzutrauern. Beides kann die Entwicklung einer depressiven Erkrankung begünstigen. Auch Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol oder Medikamenten wie Schlafmitteln können ein Thema werden.
Was können Frauen tun, damit es gar nicht erst so weit kommt?
SL: Viele Beschwerden fangen deutlich früher an und kaum eine Frau denkt da schon an die Wechseljahre. Die Deutsche Menopause Gesellschaft hat gerade eine Checkliste zur ,Frühen Perimenopause‘ veröffentlicht, so dass Frauen besser vorbereitet in das Gespräch mit ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen gehen können. Frauen müssen nicht warten, bis die Menstruation ausbleibt, um Hilfe zu bekommen. Wichtig ist auch zu wissen: Die Leitlinie Peri- und Postmenopause, die für Frauenärztinnen und -ärzte maßgeblich ist, besagt, dass bei Depressionen oder dem Verdacht darauf, die Überweisung zur Psychotherapeutin das erste Mittel der Wahl ist – und nicht die Gabe von Psychopharmaka. Daran denken auch viele Hausärztinnen und -ärzte nicht.
AZ: Hat eine Frau das Gefühl, dass sich der Zyklus verändert, die Wechseljahre beginnen und sie vielleicht Stimmungsschwankungen bemerkt, kann es Sinn machen, ihren Hormonstatus in der gynäkologischen Praxis bestimmen zu lassen. Und auch einen Bluttest zu machen: Vielleicht fehlt Vitamin D, das im Körper mit Östrogen zusammenarbeitet, oder etwa Eisen, was auch müde machen kann. Grundsätzlich ist es in einer solchen Zeit des Wandels und Wechsels eine gute Idee, sich Unterstützung zu holen, bei einem Coach oder einer Therapeutin. Denn die Wechseljahre bieten auch eine große Chance: Viele Frauen waren bis dahin nur im Funktionsmodus, haben sich um die Familie gekümmert, sind im Job erfolgreich, haben alles gleichzeitig gewuppt. Jetzt besteht die Möglichkeit, sich mehr um sich selbst zu kümmern, sich
selbst Zeit zu gönnen, innezuhalten und zu prüfen, wie man in Zukunft leben möchte. Was passt für mich, was ist gut, was soll so bleiben, was möchte ich aber auch ändern? Welche Werte habe ich und haben diese sich verändert? Die Themen Persönlichkeitsentfaltung und Selbstfürsorge werden wichtiger. Diese aktiv anzugehen, gibt auch das Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben zurück. Dazu kann bei stärkeren Beschwerden auch eine psychosomatische Reha beitragen.
SL: Der ,Schleier des Östrogens‘ weicht von uns Frauen in den Wechseljahren und das ,männliche‘ Hormon Testosteron kommt ein Stück mehr zum Zuge. Frauen werden klarer, sie sorgen mehr für sich selbst. Sie lassen sich nicht mehr alles gefallen und wollen auch nicht mehr jedem gefallen. Frauen setzen sich jetzt an die erste Stelle. Die Selbstfürsorge nimmt zu. Alexandra Zäuner hat dazu das Buch ,Leise Stimmen‘ geschrieben, das auf diesem Weg viel praktische Unterstützung gibt.
Wo finden Frauen ansonsten Hilfe?
SL: Manchmal machen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber über das Gesundheitsmanagement Angebote. Das kann ein Anfang sein. Auch regelmäßige Spaziergänge mit einer Freundin helfen, weil man sich an der frischen Luft bewegt, was den Kreislauf ankurbelt, und man kann sich gleichzeitig austauschen. Die Deutsche Menopause Gesellschaft bietet ganz viel Unterstützung an. Dazu gehört der Podcast ,Hormongesteuert‘ von ihrer Präsidentin Dr. Katrin Schaudig, der vom MDR produziert wird. Außerdem gibt es inzwischen einige gute Bücher, darunter von der Apothekerin und Journalistin Diana Helfrich. Bei Nobodytoldme unterstützen wir ratsuchende Frauen mit Kontakten etwa zu Ärztinnen und Psychotherapeutinnen in der jeweiligen Region. Wir arbeiten mit einigen Expertinnen zusammen, die bei uns Webinare anbieten. Mein eigener Schwerpunkt ist die Ernährung: Mit einer ballaststoffreichen, überwiegend pflanzlichen Ernährung, vor allem Kohlgemüse, wenig bis kaum Zucker, möglichst wenig Alkohol und bei Schlafstörungen kein Koffein können Frauen sich in den Wechseljahren sehr gut unterstützen.