2018 entwickelt die österreichische Psychologin Klara Hanstein eine schwere Angststörung mit Panikattacken. Schließlich traut sie sich kaum mehr aus dem Haus. Heute teilt sie in ihrem Buch, ihrem Blog und auf Social Media mit anderen Menschen, was ihr schließlich geholfen hat. Welchen Umgang hat sie persönlich mit der Angst gefunden?
Frau Hanstein, Sie haben selbst eine Angststörung mit Panikattacken entwickelt. Wie fühlte sich das an?
Das Schlimmste ist der Kontrollverlust über den eigenen Körper. Der Atem wird flach und schnell. Ich hatte das Gefühl, das Herz springt mir aus der Brust, die Gedanken rasten und ich hatte Todesangst. Gleichzeitig konnte ich mir nicht erklären, wo das herkommt. Ich war stets ,in Sicherheit‘, stand an der Supermarktkasse, saß in der U-Bahn oder fuhr gerade Auto – und doch geschah etwas in mir, dessen ich nicht Herrin war.
Das steigerte sich bis zu…?
… der Tatsache, dass ich nicht mehr aus dem Haus ging. Die Angst vor der Angst war zu groß. Was ist, wenn jetzt eine Panikattacke kommt? Es hilft mir niemand und ich bin dem Ganzen hilflos ausgeliefert. Zuhause war ich aber auch ständig in innerer Anspannung und Unruhe, und die Panikattacken sind auch dort aufgetreten.
Haben Sie sich Hilfe gesucht?
Ja, ich war bei mehreren Therapeuten, aber alle haben direkt auf der gedanklichen Ebene angesetzt. Das mag für andere funktionieren, bei mir hat es nichts gebracht. Ich war gar nicht aufnahmebereit für Gespräche, weil ich ständig damit zu tun hatte, meine innere Aufregung in Zaum zu halten. Erst eine Traumatherapeutin hat mir dann geholfen. Sie hat gesagt: ,Frau Hanstein, jetzt atmen wir erstmal.‘ Sie hat es angeleitet: ,Wir atmen durch die Nase ein, langsam durch den Mund aus.‘ Und wir haben sehr viel geatmet. Das wurde dann auch mein Leitsatz, denn dies war der zündende Faktor für mich. Ich habe gemerkt, ich muss mich auf der körperlichen Ebene, also mein Nervensystem, zunächst beruhigen, bevor ich an meine Denkmuster gehen kann. Danach habe mich zweieinhalb Jahre aus meiner Angst herausgearbeitet, bis Mitte 2023. Insgesamt habe ich mehr als fünf Jahre lang Panikattacken erlebt.
Sie hatten anfangs versucht, gegen die Angst anzukämpfen. Vergeblich. Wie sind Sie vorgegangen?
In Situationen, in denen ich funktionieren musste, im Job oder beim Treffen mit Freunden, wo die Angst keinen Platz hatte, habe ich versucht, mich abzulenken und die Angst auf die Seite wegzudrücken. Mit Gedanken wie: ,So, es reicht jetzt! Ich kann mich jetzt nicht um Dich kümmern!‘ Es ist jedoch wie mit dem rosa Elefanten, an den man nicht denken soll. Er steht erst recht im Raum.
In Ihrem Buch sagen Sie, man soll mit der Angst reden: ,Halt jetzt mal die Klappe!‘ Was ist der Unterschied?
Ich kombiniere zwei Ansätze. Erstens: Die Angst darf da sein, wird also nicht weggedrängt. Ich spüre die Angst, finde einen Umgang damit. Neben diesem akzeptierenden und annehmenden Teil darf es sehr wohl einen Teil geben, der sagt: ,Ich nehme Dich wahr, aber jetzt halt mal die Klappe!‘ Es ist eine andere Haltung, die davon ausgeht, dass ich mir mein Leben zurückhole, trotz der Angst. Sie nur weg zu drücken, geschah aus einer ängstlichen Haltung heraus.
Angst ist das Gegenteil von Sicherheit, von Geborgenheit. Sie empfehlen, wieder Vertrauen aufzubauen, zu sich selbst, zum Leben. Klingt einfach, ist es aber nicht. Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe meinem Körper überhaupt nicht mehr vertraut, denn der hat die schrägsten Dinge mit mir gemacht. Doch dann gab es diesen Tag, als ich allein zuhause war und mich eine schwere Panikattacke überrollte. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt schon die Atemübungen und wusste: Ich muss mich jetzt hinsetzen und atmen. Ich habe alles geschehen lassen, jeden Gedanken, jedes Gefühl, und ich merkte, wie die Panikattacke ihren Höhepunkt erreichte und wieder abebbte. Ich atmete immer weiter und beobachtete nur, was ich dachte und fühlte. Und ich lernte, dass ich Einfluss darauf nehmen kann, wie es mir geht. Durch das Atmen konnte ich meinem Nervensystem signalisieren: ,Ich bin in Sicherheit, Du brauchst mich nicht vor einer Gefahr zu warnen‘ – die ja gar nicht da ist. Das war also eine Fehlfunktion. Es braucht Übung, und ist keine Wunderstrategie, aber mit der Zeit wird es besser und die Selbstwirksamkeit nimmt zu.
In Ihrem Buch haben Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen 24 Tools zusammengestellt, wie man sich bei Angst und Panikattacken helfen kann. Je acht für Körper, Gefühle und Gedanken. Können Sie jeweils ein Beispiel geben?
Ich beginne im Buch mit dem Körper, weil er in diesem Zusammenhang so oft vernachlässigt wird. Dabei hat er eine enorme Kraft, uns dabei zu unterstützen, unsere Ängste zu bewältigen. Natürlich hängt alles miteinander zusammen, aber ein Tool ist für mich das wichtigste und für viele einfach anwendbar: der Atem. Bei den Gefühlen beschreibe ich zum Beispiel die ,Wurschtigkeitshaltung‘: Nehme ich die Angst an? Darf sie da sein? Oder kämpfe ich dagegen an? Viele schreiben mir auf Social Media, das würde ja bedeuten, zu resignieren. Aber nein! Es ist eine aktive Entscheidung. Die Angst darf da sein, sie kann mir aber nichts anhaben. Ich ergebe mich ihr nicht, ich gebe nicht auf. Ich überlasse ihr nicht länger mein Leben.
Und was ist zentral für das Denken?
Meditative Praktiken sprechen auch davon, dass wir nicht unsere Gedanken sind, sondern sie nur haben.
Genau, auch in der Achtsamkeit kommt das vor. Es geht darum, sich nicht – mehr – damit zu identifizieren.
… und wieder die Person zu werden, die sagt, ,wo es langgeht‘, wie Sie schreiben. Tritt eine Angststörung vielleicht auch auf, weil man zu lange nicht selbst bestimmt hat, welche Richtung das eigene Leben nehmen soll?
Es kommt immer auf die Ursache an. Es gibt Menschen, die entwickeln eine Angststörung aufgrund eines einmaligen traumatischen Erlebnisses. Und dann gibt es Menschen, die wie ich dem Burnout nahe waren, durch Überforderung, beruflich oder privat. Deshalb kann es hilfreich sein zu schauen: Was sagt mir die Angst? Worauf weist sie mich vielleicht auch hin? Viele Menschen schreiben mir, sie hätten ihr Leben neu ausgerichtet, und dass die Angst dafür auch gut war. Ich selbst arbeite heute sogar mehr als früher. Aber ich achte viel mehr auf meine Grenzen und nehme mir immer Zeit, um in die Natur zu gehen und mich zu regenerieren.
Hier kommen Sie zum Selbsttest Angsstörung.
Hier kommen Sie zum Angehörigentest Angststörung.