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Die Tagesstrukturierenden Maßnahmen des kbo-Sozialpsychiatrischen Zentrums in Haar bei München sind ein deutschlandweit einzigartiges Angebot: Menschen mit psychischen Erkrankungen können hier sinnhaften, arbeitsähnlichen Tätigkeiten nachgehen. Wie das aussieht, schildert Peter Kohout, Bereichsleitung Beschäftigung und Tagesstruktur im Landkreis München.
Klaus Berger liebt es, mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen. Deshalb erlernte er ein Handwerk und arbeitete, bis eine psychische Erkrankung in sein Leben trat. Weil er sich davon nie so richtig erholt hat und seinen Beruf aufgeben musste, lebt er inzwischen in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft. Mit den Händen aber gestaltet er immer noch. Mehrere Vormittage in der Woche verbringt der Mann, der eigentlich anders heißt, im kbo-Sozialpsychiatrischen Zentrum (kbo-SPZ) in Haar bei München. Dort nimmt er an den „Tagesstrukturierenden Maßnahmen“ (TSM) teil und fertigt etwa aus Peddigrohr Leuchtkugeln oder im Holzbereich Regale aus Einwegpaletten. Trotz seiner Erkrankung gibt der Münchner seinem Alltag so selbst Sinn, Freude und Struktur.
Gebraucht werden und raus aus dem Gedankenkreisen
zitiert das kbo-SPZ auf seiner Website den deutschen Psychiater Klaus Dörner, der sich unter anderem für die Modernisierung der Psychiatrie in der ehemaligen DDR einsetzte. Weil einige Menschen mit psychischen Erkrankungen den Anforderungen und etwa dem Zeitdruck einer regulären Erwerbstätigkeit nicht gewachsen sind, schafft das kbo-SPZ für sie passende Bedingungen – je nach individuellem Bedarf und persönlichen Zielen: „Unsere Angebote zielen darauf ab, Menschen mit einer psychischen Erkrankung bei der Entwicklung und dem Erhalt einer sinnhaften Tagesstrukturierung zu unterstützen und gesellschaftliche Teilhabe durch die Ermöglichung arbeitsähnlicher Tätigkeiten zu fördern“, schreibt das kbo-SPZ über sich – und betreibt deshalb verschiedene Angebote zur Tagesstruktur in den Regionen Rosenheim, Erding und Landkreis München (Haar).
„Eine Tagesstruktur zu haben ist ungemein wichtig“, betont auch Peter Kohout, SPZ-Bereichsleitung Beschäftigung und Tagesstruktur im Landkreis München. „Die Menschen müssen raus aus ihren Zimmern in der WG“, fügt der Arbeitserzieher und Sozialwirt hinzu, der seit vielen Jahren in der Psychiatrie und Sozialpsychiatrie tätig ist. „Trotz Angeboten in der Gemeinschaft ziehen sich viele zurück, das führt wieder zu mehr Gedankenkreisen und Grübeln, Ängsten und potenziell zu Vereinsamung und neuen psychischen Symptomen.“ Schon die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den TSM sei für manche eine Herausforderung, „aber sie hilft dabei, sich mit dem Leben und anderen Menschen auseinanderzusetzen.“ Ebenso wie die Tagesstrukturierenden Maßnahmen, die weitere bestätigende Erfahrungen der Selbstwirksamkeit ermöglichen. Nur wenige Teilnehmende leben selbstständig in ihrer eigenen Wohnung.
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So sehen TSM in der Praxis aus
Insgesamt knapp 60 Menschen, die vor allem an Schizophrenie und schizotypen Störungen leiden, stehen Vor- oder Nachmittagsplätze zur Verfügung. Der Ablauf ist gleich: Zunächst gibt es eine Besprechung, welche Aufgaben am jeweiligen Tag anstehen. Neben verschiedenen kunsthandwerklichen Tätigkeiten im Holzbereich gehören dazu oft auch arbeitsähnliche Aufgaben für die Industrie: Schulbücher verpacken oder aber etwa Deckel und Tragegriffe an Köcher für Filmkamera-Stative aus Kunststoffrohren montieren. Diese Boxen entstehen im Auftrag einer Firma, die auch die Filmindustrie in Hollywood beliefert. Zudem können Teilnehmende bei ergotherapeutischen Gruppenangeboten mitmachen.
Eine weitere Option im kbo-SPZ ist eine Tätigkeit im sogenannten Zuverdienst. Auf dem Gelände der kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Haar befinden sich auch ein Secondhand-Laden sowie ein Koch- und ein Bügel-Service in den gemeinsamen Räumen. „Unsere Teilnehmenden kümmern sich um jede Menge Arzthemden, aber auch Blusen und Dirndl“, zählt Kohout auf. Gekocht wird hingegen intern für die Teilnehmenden an den TSM, rund 25 Mahlzeiten am Tag. „Wir würden das gerne nach außen ausweiten“, berichtet Kohout von seiner Vision. „Es gibt hier in Haar eine Fachoberschule mit etwa 1000 Schülerinnen und Schülern, für die wir eine Brotzeit anbieten könnten oder etwa ein Mittagessen für Firmen in der Umgebung.“ Es fehlten jedoch die technischen Voraussetzungen. Auch die notwendige Zuverlässigkeit könnte ein heikler Punkt sein. Ein Engagement im Zuverdienst geht grundsätzlich mit höherer Verbindlichkeit und dem Einhalten von Terminen einher.
Seit Sommer 2024 befindet sich auch die Tagesstätte SPZ-Treff unter dem gemeinsamen Dach mit den TSM und dem Zuverdienst im kbo-SPZ. Dies erlaubt nicht nur einen schnelleren Wechsel zwischen den einzelnen Angeboten. Bei Bedarf können Termine in der Wohngemeinschaft, beim Arzt oder bei der Ärztin oder etwa mit der gesetzlichen Betreuung leicht koordiniert werden, weil die Mitarbeitenden in allen drei Bereichen fachlich vernetzt sind und sich mit anderen Diensten abstimmen. Um an den TSM teilnehmen zu können, muss neben einer psychischen Erkrankung ein rechtlicher Anspruch nach dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) gegeben sein oder der Bezug von Erwerbsminderungs- oder Erwerbsunfähigkeits-Rente. Wer in einer ambulant betreuten WG lebt, muss einem Angebot zur Tagesstrukturierung nachgehen. „Unsere Teilnehmenden profitieren davon, weil sie damit, soweit möglich, gesund bleiben“, sagt Peter Kohout. Und er berichtet von einem Teilnehmenden, der verschiedene Tätigkeiten in den TSM übernahm und schließlich eine feste Anstellung dort erhielt.