Die Depression macht es unmöglich, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen? Die Angststörung erschwert den Lebensmitteleinkauf? Psychische Erkrankungen können den normalen Alltagsablauf Zuhause stark beeinträchtigen. Was tun? In München bieten die Kliniken des Bezirks Oberbayern (kbo) einen Ambulanten Psychiatrischen Pflegedienst an. Er unterstützt psychisch erkrankte Menschen dabei, ihren Alltag trotz vorhandener Symptome möglichst autonom zu gestalten.
Silvia S. kann das Haus erst verlassen, wenn sie überprüft hat, ob der Herd wirklich aus ist. Weil sie an einer Zwangsstörung leidet, geht sie an manchen Tagen dreißig Mal zurück in die Küche, um sich zu vergewissern – und kommt deshalb immer wieder zu spät zur Arbeit. Bernd F. hingegen hat eine wiederkehrende Depression : Ihm fällt es von Zeit zu Zeit schwer, morgens überhaupt aufzustehen und seinen Tag zu planen. Beide bewältigen trotzdem ihren Alltag, denn sie bekommen Hilfe durch den Ambulanten Psychiatrischen Pflegedienst der Kliniken des Bezirks Oberbayern (kbo-APP). Vor zwölf Jahren gegründet, war der Dienst das erste Angebot dieser Art in Bayern. Ziel des kbo-APP ist es, psychisch kranken Menschen zu helfen, zurück zu ihrer Stabilität zu finden.
Hier finden Sie den passenden Flyer hinterlegt.
Psychische Erkrankungen beeinträchtigen Routine und Alltag
Anders als bei allgemeiner ambulanter Pflege steht dabei nicht die Hilfe beim Waschen, Ankleiden oder das Wechseln von Verbänden im Vordergrund – wie es bei körperlichen Leiden oder einer Pflegestufe der Fall ist. Wen das Team der kbo-APP Zuhause besucht, der ist akut oder chronisch psychisch erkrankt. Die Symptome solcher Erkrankungen bewirken häufig, dass Betroffene nicht mehr in der Lage sind, eine tägliche Routine herzustellen. Die typische Antriebslosigkeit einer Depression, Ängste oder eingeschränkte Konzentration und Merkfähigkeit erschweren es, ein eigenständiges Leben zu führen. Hier kommen die Mitarbeitenden des Ambulanten Psychiatrischen Pflegedienstes ins Spiel. Als im psychiatrischen Bereich erfahrene und speziell ausgebildete Fachpflegekräfte stärken und fördern sie Fähigkeiten und Ressourcen der Erkrankten. Im Unterschied zur „Stationsäquivalenten Behandlung“ (StäB) handelt es sich jedoch nicht um eine Alternative zu einem stationären therapeutischen Aufenthalt. Die Mitarbeitenden des kbo-APP werden in der Regel vor oder nach dem Aufenthalt in der Klinik aktiv oder auch begleitend zur ambulanten psychiatrischen Behandlung. Sie besuchen die Betroffenen zu gemeinsam festgelegten Terminen in deren Zuhause.
Auf Augenhöhe individuell helfen
Eine Kernaufgabe des kbo-APP ist es, Erkrankten dabei zu helfen, ihre akute Situation zu bewältigen. Dazu braucht es Vertrauen. Die Fachkräfte wissen, wie sie mit ihren Klientinnen und Klienten in Kontakt treten und eine Beziehung auf Augenhöhe aufbauen. Daher verwenden sie auch nicht die Begriffe „Patientin“ und „Patient“. Es braucht häufig ein wenig Zeit, doch durch empathisches Zuhören und Verständnis gelingt es ihnen, eine Vertrauensbasis herzustellen. Mit ihrer pflegerischen Hilfestellung können die Mitarbeitenden dann dabei unterstützen, krankheitsbedingte Schwierigkeiten abzumildern. Das kann sehr unterschiedlich aussehen: Gemeinsam einkaufen gehen, mit dem Bus fahren, Briefe durcharbeiten oder einfach nur reden. In jedem Fall sind es Dinge, die für die Betroffenen hilfreich sind.
Unter anderem achten die Mitarbeitenden auch darauf, dass nötige Medikamente pünktlich eingenommen werden oder sie begleiten die Klientinnen und Klienten zu Terminen bei Ärztinnen oder Ärzten. Sie erläutern den Betroffenen, Angehörigen und anderen Menschen im persönlichen Umfeld die Symptomatik der jeweiligen Erkrankung („Psychoedukation“) und wie sich am besten damit umgehen lässt. Werden Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde, Nachbarinnen und Nachbarn hierbei eingebunden, steht den Betroffenen ein größeres unterstützendes Netzwerk zur Verfügung, auf das sie zurückgreifen können.
Zusammenarbeit mit anderen Stellen
Im Krisenfall sind die Pflegekräfte des kbo-APP rund um die Uhr erreichbar und machen bei Bedarf auch außerplanmäßige Hausbesuche. Wenn erforderlich, etwa bei Suizidabsichten, ziehen sie weitere Hilfe hinzu. Die Mitarbeitenden kooperieren zudem mit Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten, Tages- und sozialpsychiatrischen Einrichtungen. Falls die Klientinnen und Klienten nicht in der Lage sind, selbst persönlich oder telefonisch Kontakt zu ihren Behandelnden aufzunehmen, kümmern sich die kbo-APP-Mitarbeitenden darum. Zudem arbeiten sie in Teams und beraten sich gegenseitig. Bei Gesprächen ihrer Klientinnen und Klienten mit Institutionen – etwa Tageseinrichtungen oder auch Ämter – sind sie mit vor Ort und sie vermitteln auch innerhalb von Familien. Darüber hinaus vermitteln sie, wenn nötig, weiterführende Unterstützungsmaßnahmen, denn das Angebot der ambulanten psychiatrischen Pflege ist zeitlich begrenzt. Bestenfalls macht sich das APP-Team nach einer Weile selbst überflüssig – weil die Erkrankten ihr Leben wieder eigenständig in die Hand nehmen können. Dann ist das Ziel erreicht.