Nicht alles, was in Social Media als „#panicattack“ beschrieben wird, ist auch tatsächlich eine. Dennoch sind echte Panikattacken weit verbreitet: Mehr als jeder vierte Mensch hat schon einmal diese alles überflutenden Ängste erlebt. Treten sie öfter auf, kann sich eine Panikstörung daraus entwickeln – die aber gut behandelbar ist.
In einem Gang im Supermarkt, zwischen Konserven und Obst im Glas, geschieht der Überfall. Aus dem Nichts. Aus seinem Inneren. „Auf einmal hatte ich einen Schweißausbruch“, erinnert sich Armin Rösl, „maßlose Angst, mein Herz raste, mir war schwindelig und ich dachte, ok, ich fall‘ jetzt um und sterbe. Herzinfarkt. Das wars.“ Der Journalist kann das Geschäft verlassen, an der frischen Luft fühlt er sich besser. Mit der Zeit wiederholen sich die Panikattacken jedoch immer öfter. Denn dass es sich um solche handelt und nicht etwa um eine akute körperliche Erkrankung, wird schließlich nach mehreren Arztbesuchen klar. „Auf die Idee, dass es die Psyche sein könnte, war ich selbst gar nicht gekommen“, erzählt Rösl.
Keine äußere Bedrohung – und trotzdem Panik
Panikattacken gehören zu den Angsterkrankungen. Treten sie innerhalb eines Monats häufiger auf, diagnostizieren Psychologinnen oder Psychiater eine Panikstörung. Die Angst scheint vollkommen sinnlos zu sein, wie bei Armin Rösl gibt es keine äußere Bedrohung. Zu den typischen Symptomen können Schmerzen in der Brust gehören, starkes Zittern, Luftnot, Übelkeit, Hitzewallungen, ein Gefühl der Unwirklichkeit. Betroffene fürchten, verrückt zu werden oder die Kontrolle über sich zu verlieren und womöglich etwas Absurdes zu tun. Oft kommt zur Panikstörung eine Agoraphobie hinzu: Eine „Platzangst“, die dazu führt, dass Menschen die Plätze oder Orte meiden, an denen die Panikattacke zum ersten Mal aufgetreten ist – letztlich aus „Angst vor der Angst“. Mit ihrem Erleben sind sie nicht allein: Panikstörung und Agoraphobie gehören zu den häufigsten psychischen Störungen. Fünf von 100 Menschen erkranken einmal in ihrem Leben daran.
Wenn in den sozialen Medien, etwa auf TikTok unter dem Hashtag „#panicattack“ derzeit viele junge Menschen über ihre „Panikattacken“ berichten, klingt das zwar dramatisch, häufig handelt es sich jedoch nicht um die psychische Erkrankung. Wer noch klare Gedanken fassen und in sein Mobiltelefon sprechen kann, dass er sich in einer bestimmten Situation unwohl fühlt, sich Sorgen macht oder vielleicht sogar Angst hat, erleidet noch keine Panikattacke. Bei einer solchen fühlt man sich von bodenloser Angst überflutet und ist zu keinen Posts in der Lage. Seriöse Selbsttests können im Nachhinein eine erste Orientierung geben, ob man womöglich an einer Panikstörung leidet.
Angst hilft uns zu überleben
Angst an sich ist eine überlebenswichtige Funktion Ohne sie wären wir wahrscheinlich ausgestorben. Sie warnte unsere Vorfahren, sich schnell in Sicherheit zu bringen, wenn der Säbelzahntiger in Sichtweite kam. Für Emotionen wie Angst, aber auch Wut, Trauer und Freude ist in der Mitte des Gehirns, im Limbischen System, die Amygdala zuständig – der sogenannte Mandelkern. Wird er aktiv, schüttet der Körper die Stresshormone Adrenalin und Cortisol aus. Dadurch beschleunigen sich Herzschlag und Atmung. Blut und Sauerstoff werden aus dem Kopf und den Verdauungsorganen in die Arme und Beine gepumpt, um einen Speer werfen oder sofort wegrennen zu können. Dazu spannen sich die Muskeln an, was auch das Gefühl der Brustenge bei Panikattacken erklärt. Nachdenken ist jetzt nicht angesagt. Bei Menschen, die an Panikattacken leiden, ist die Amygdala übermäßig aktiv – was besonders widersprüchlich scheint, weil ja, objektiv betrachtet, gerade gar keine gefährliche Situation besteht.
Die Attacke selbst fühlt sich für Betroffene lebensbedrohlich an, ist es aber ebenfalls nicht. Auch weil der Körper nicht unbegrenzt Adrenalin bilden kann, klingt die Angst schließlich ab. Nach all dem Stress der maximalen Anspannung und Anstrengung fühlt man sich anschließend meist erschöpft. Leidet jemand an einer Panikstörung, kann eine Attacke allerdings länger andauern als bei einem Menschen, bei dem sie einmalig auftritt. Je früher sich Betroffene Hilfe suchen, desto besser. Denn das Risiko besteht, dass sie andernfalls immer mehr Orte und Situationen meiden, an und in denen sie eine Panikattacke erlebt haben – und schließlich kaum noch aus dem Haus gehen. Der Alltag, das Berufs- und das soziale Leben könnten so immer weiter eingeschränkt werden, Depressionen die Folge sein. Bei Armin Rösl traten sie auf, als die Angststörung überwunden schien.
Mit Therapie Panik und Angst in den Griff bekommen
In der Regel sind Panikstörungen und Agoraphobie jedoch gut therapierbar. Bewährt hat sich Kognitive Verhaltenstherapie, manchmal kommen auch Medikamente hinzu. Armin Rösl war überrascht, wie seine ersten Stunden beim Psychotherapeuten abliefen: „Er machte zunächst mit mir Autogenes Training, so dass ich überhaupt wieder mehr zur Ruhe kam“, erinnert er sich. „Nach der vierten Sitzung haben wir dann mit der Ursachenforschung begonnen und dazu auch meine Kindheit betrachtet.“ Inzwischen weiß die Medizin, dass auch bedeutende Lebensveränderungen und großer Stress Panikattacken hervorrufen können – womöglich, weil man früher im Leben noch nicht die richtigen Strategien erlernt hat, um mit solchen Erfahrungen umzugehen.
Armin Rösl bekam auch Techniken vermittelt, mit denen er sich einer neuerlichen Panikattacke weniger ausgeliefert fühlte. Ihm half folgendes inneres Bild: „Wenn plötzlich Angst in mir hochsteigt, dann stelle ich mir vor, dass meine Füße ganz groß werden, alles andere ringsum verdrängen und ich ganz sicher auf riesengroßen Entenfüßen stehe. Das ist nicht jedermanns Sache, aber für mich hat es funktioniert.
Was tun, wenn ich eine Panikattacke habe?
Wer zum ersten Mal aus dem Nichts heraus die im Artikel beschriebenen Symptome verspürt, zieht zur Sicherheit besser medizinische Hilfe hinzu. Enge in der Brust und Kurzatmigkeit können auch auf körperliche Erkrankungen hinweisen, wie etwa einen Herzinfarkt. Wer bereits eine Panikattacke hatte und das Gefühl kennt, kann bei einem erneuten Vorkommnis versuchen, sich zu bewegen, um die überschüssige Energie zu kanalisieren. Ebenfalls kann man ausprobieren, tiefer in den Bauch zu atmen und zumindest zu versuchen, nicht zu hyperventilieren. Wer dazu neigt, kann in eine Plastiktüte atmen. In einer akuten Panikattacke fällt es zwar schwer, wichtig ist aber, sich möglichst nicht in seine Wahrnehmungen hineinzusteigern. Stattdessen sollte man sich bewusst machen, dass einem nichts geschehen kann. Gedanken sind mächtig und können, im negativen Fall, auch das Ende eine Panikattacke hinauszögern. Der akute unangenehme Zustand wird zudem in jedem Fall von allein vorübergehen – auch dieser Gedanke kann helfen. Ablenkung im Sinne von Fokussierung auf einen Gegenstand, auf ein Mantra oder das Hineindenken an einen Wohlfühlort sind weitere Strategien.
Was tun, wenn man bei jemandem eine Panikattacke vermutet?
Wer jemandem helfen möchte, der gerade eine Panikattacke erleidet, kann diese in der Regel nicht von einem möglichen Herzinfarkt unterscheiden. Im Zweifel ist es dann besser, unter 112 einen Rettungswagen rufen. Ist die betroffene Person jedoch sicher, dass es sich um eine Panikattacke handelt, weil er oder sie bereits eine erlebt hat? Dann kann es schon helfen, einfach nur bei diesem Menschen zu bleiben und zu fragen, wie man ihn am besten unterstützen kann. Dazu kann gehören, ihm in ruhigen Worten zu sagen, dass die Panikattacke sich zwar sehr beunruhigend anfühlt, sie aber schon in Kürze vorübergeht. Es ist wichtig, selbst möglichst gelassen zu bleiben, Zuversicht auszustrahlen und diese auch mit Worten zu vermitteln. Eine andere Methode ist Ablenkung, indem man dem Gegenüber einfache Fragen, etwa zum Tagesablauf stellt. Berührungen helfen ebenfalls dabei, Menschen mit Panikattacke im Hier und Jetzt zu verankern – doch je nach persönlicher Vorliebe ist dies vorsichtig zu testen. Gemeinsam zu atmen kann für Beruhigung sorgen. Keinesfalls sollte man die Person allein lassen.