Leichte Sprache

„Männer meinen, alles allein bewältigen zu müssen“

In seinen dunkelsten Stunden wollte sich Armin Rösl das Leben nehmen – ein sechswöchiger Klinikaufenthalt hat dem Journalisten geholfen, seine schwere Depression zu überwinden. Heute engagiert er sich ehrenamtlich als Leiter einer Selbsthilfegruppe und in der Deutschen DepressionsLiga e.V.. Von seinen Erfahrungen profitieren vor allem auch jene Männer, die eine psychische Erkrankung nicht wahrhaben wollen. Warum fällt es Männern oft so schwer, sich um ihre Psyche zu kümmern?

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Armin Rösl
Armin Rösl © Deutsche Depressionsliga e.V. Rüdiger Dunker

 

Herr Rösl, es heißt, Männer suchen sich weniger oft Hilfe als Frauen, wenn sie psychisch erkranken. Stimmt das und wenn ja, wie kommt das?

Das stimmt vermutlich. Viele Männer sind noch in diesem alten Rollenbild gefangen, stark sein zu müssen und keine Schwäche zeigen dürfen. Schon gar keine seelische Schwäche. Vielen fällt es noch schwer, sich eine solche einzugestehen. Mir ging es vor 13 Jahren nicht anders. Als Mann zum Psychologen zu gehen, was würden meine Freunde denken? Ich habe es zunächst geheim gehalten und dann doch erzählt. Von Freunden und anderen Männern habe ich dann viel Mitgefühl erfahren. Und mir wurde klar, dass ich nicht der einzige war, aber kaum jemand sich traute, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

 

Was heißt denn „stark sein“ für einen Mann?

Der Mann hat für alles eine Lösung parat. Er sorgt dafür, dass in der Wohnung alle Schrauben gut festgezogen sind und performt im Job, schließlich ist er der Ernährer. Und er ackert 40, ach was, 80 Stunden die Woche. Der Mann definiert sich gerne über die Arbeit, in der Generation meines Vaters war das noch extremer. Viele Männer meinen zudem, mit allem allein klarkommen zu müssen. Kummer betäuben sie mit Alkohol. Was aber die Probleme nur vergrößert.

 

Also hat der Mann eine Seele?

Natürlich, er findet sie nur oft nicht. Und macht sie sich mit Ängsten oder Depressionen bemerkbar, denkt sich der Mann, hoppla, das kenn‘ ich gar nicht. Ich will funktionieren, ich will so, wie ich bin, weiterleben. Beeinträchtigungen sind nicht erwünscht.

 

Wie war das bei Ihnen? Wie haben Sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt?

Bei mir ging es los mit Angst und Panikattacken. Mein Arzt hat schnell erkannt, dass organisch alles stimmte und es eine seelische Ursache gab. Er hat mich an einen Psychiater weitergeleitet, wo ich dank Therapie und einem Medikament lernte, mit meinen Panikattacken umzugehen. Schließlich schien alles wieder gut. Ein Jahr danach aber wachte ich eines Nachts schweißgebadet auf. Ich hatte das Gefühl, als befände ich mich in einem dieser Ganzkörper-Gummibälle aus Freizeitparks. Ich hörte Stimmen anderer Menschen, aber konnte sie nicht richtig wahrnehmen. Das wurde immer schlimmer. Mein früherer Therapeut diagnostizierte eine schwere Depression, ich suchte ihn wieder ambulant auf. Aber es ging mir nicht besser. Nach sechs Wochen stand ich auf einer Brücke und wollte springen. Da war klar, so geht es nicht weiter, ich muss in die Klinik. Jetzt. Sofort. Das habe ich zum Glück gemacht. Das hat mir das Leben gerettet.

 

Welche anderen Symptome hatten Sie?

Ich hatte an nichts mehr Freude, ich fühlte nichts. Ich empfand mich selbst als wertlos. Die Nächte verbrachte ich mit Grübeln und der Angst vor dem nächsten Tag. Ich hatte keinerlei Kraft, nicht mal zum Zähneputzen. Diese Krankheit ist furchtbar.

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Blog Männergesundheit
© Adobe Stock

 

Wie war es, in die Klinik zu gehen?

Ich stand davor, mit Heidenangst. Ich gehöre zu der Generation, die den Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ gesehen hat. Deshalb stellte ich mir vor, dass ich nie wieder rauskomme, und wenn, dann in vielen Jahren und vollgepumpt mit Medikamenten. So war es ganz und gar nicht. Trotzdem waren die ersten beiden Wochen die Hölle.

 

Inwiefern, was geschah in der Klinik?

Ich musste Dinge tun, die man als Depressiver auf keinen Fall machen möchte. Los ging es in der Früh um halb acht mit Morgengymnastik. Jeden Tag. Danach kam ein straffer Zeitplan bis abends um 22 Uhr, mit Einzel- und Gruppentherapie, Sport, Kunst- und Musiktherapie, Ergotherapie, progressiver Muskelentspannung. Das war kein Urlaub, keine Reha. Ein Moment, den ich nie vergessen werde und der aber auch zeigt, wie tief unten man sich während einer Depression fühlt, ergab sich in meiner zweiten Woche. Reihum mussten wir Patienten morgens um 6 Uhr den ersten Kaffee kochen, nun war ich also dran. Die Nacht davor konnte ich fast nicht schlafen, aus Angst zu versagen – beim Bedienen einer normalen Filterkaffeemaschine. Ich fühlte mich furchtbar und wäre am liebsten weggelaufen. Aber das ging ja nicht. Also musste ich wohl oder übel den Kaffee kochen. Der Erste, der davon getrunken hat, meinte: ,Ja, der schmeckt gut.‘ Ich war stolz wie ein kleines Kind.

 

Und von da an ging es bergauf?

Ganz allmählich. Am Anfang wollte ich nur im Bett liegen und grübeln, aber man darf gar nicht lange auf dem Zimmer sein, sondern muss sich zumindest in den Gemeinschaftsraum setzen. Das Zimmer selbst ist absichtlich so ungemütlich, dass man sich da eh nicht wirklich wohlfühlt. Das enge Programm gab mir wieder Struktur, darüber entwickelte sich wieder ein Tagesablauf. Manchmal erzählen mir Menschen nach Vorträgen, dass sie wochenlang in einer Klinik waren, wo sie aber viel Freizeit hatten. Nach kaum zwei Wochen zuhause rutschten sie wieder in die Depression. Für mich wäre das nicht das Richtige gewesen. Nach einiger Zeit sollte ich täglich eine halbe Stunde joggen, das tat mir sehr gut und ich habe es beibehalten. Und in der Musiktherapie einfach eine Stunde in Klang abzutauchen, hat mir gezeigt: Hey, Du warst jetzt 60 Minuten konzentriert bei der Sache, die negativen Gedanken hatten gar keine Chance. Ich war wieder ganz bei mir.

 

Wie geht es Ihnen heute?

Seit dieser Zeit vor 13 Jahren hatte ich keine schwere Phase mehr. Manchmal kommt die Depression wieder ums Eck, dann merke ich, ich muss jetzt aufpassen. Deshalb bin ich immer noch in ambulanter Therapie, eher präventiv. Von ursprünglich fünf Medikamenten nehme ich nur noch eines und das Ziel ist es, auch das loszuwerden. Aber ich mache mir da keinen großen Druck. Wie früher bin ich viel unterwegs, habe viele Ehrenämter, engagiere mich sozial. Seit fünf Jahren auch in der Deutschen DepressionsLiga. Aber ich passe besser auf mich auf, um rechtzeitig zu merken, wann es zu viel wird. Und dann Nein zu sagen. Ich steigere mich auch nicht mehr so in Dinge rein, die letztlich Kleinigkeiten sind.

 

Was für Sorgen haben die Männer, die bei Ihnen Hilfe suchen?

Die größte Sorge ist, den Job zu verlieren. Vorher kommt noch die ganz große Frage: Sage ich es meinem Arbeitgebenden oder nicht? Davor haben viele Angst, das ging mir genauso. Aber ich habe gute Erfahrungen gemacht, mein Chef war sehr verständnisvoll. Eine weitere große Sorge von Männern ist: Was erwartet mich in der Therapie? Durch meine Ehrenämter will ich den Menschen vor allem Mut machen: Du kannst aus der Depression zurückkommen, letztlich sogar gestärkt. Es ist ein schwerer, langer, harter Weg, aber geh ihn! Und geh ihn nicht allein. Das schafft niemand.

 

Welche Hürden müsste man abbauen, damit Männer sich frühzeitiger Hilfe suchen?

Der Mann sollte sich vor allem nicht so wichtig nehmen. Bei meinen Vorträgen sage ich am Schluss auch immer: Auch wir Männer haben Gefühle. Warum nicht dazu stehen? Wenn ich bei einer Beerdigung bin, muss ich nicht gegen meine Tränen ankämpfen. Wenn ich traurig bin, dann weine ich eben.

 

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