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„Die Menschen mit Post-Covid sind verzweifelt“

Sie fühlten sich schon wieder gut und plötzlich geht fast gar nichts mehr: Nach einer überstandenen Corona-Infektion entwickeln manche Menschen das sogenannte Post-Covid-Syndrom mit starker Ermüdbarkeit, körperlicher und psychischer Schwäche und „Brain Fog“. Die Erkrankung ist rätselhaft. Prof. Ansgar Klimke, Psychiater und Ärztlicher Direktor des Vitos Klinikums Hochtaunus, über mögliche Ursachen, Wege zur Diagnose und Therapieansätze.

Wichtiger Hinweis:
Das Post-Covid-Syndrom ist noch ein sehr neues Krankheitsbild und wird gegenärtig aus vielen Perspektiven erforscht. Der folgende Beitrag basiert auf dem aktuellen Forschungsstand zu Symptomen, Verlauf, Dauer, Diagnose und Therapie.
 

 

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Ansgar Klimke
Ansgar Klimke © privat

Herr Prof. Klimke, was ist Post-Covid, was weiß die Medizin inzwischen darüber?

Post-Covid ist ein schwierig zu beschreibendes Störungsbild, das nach dem Abklingen einer akuten Virusinfektion mit Covid-19, die sogar mild verlaufen sein kann, eigentlich so nicht zu erwarten war. Es handelt sich um ein Syndrom, also eine Kombination von Symptomen. In der Literatur werden inzwischen mehr als 200 verschiedene Symptome genannt, die unterschiedlichste Organsysteme betreffen. Die Patientinnen und Patienten selbst beschreiben es oft als eine seltsame Schwäche, die Körper und Psyche erfasst und die, bei vorher guter Gesundheit, zu deutlichen Leistungseinschränkungen führt. In Deutschland wird Post-Covid offiziell vom Long-Covid-Syndrom unterschieden, womit eine verlängerte Infektion mit dem Covid-19-Virus gemeint ist. Trotzdem wird der Begriff Long-Covid häufig auch verwendet, wenn es sich eigentlich um das Post-Covid-Syndrom handelt.

 

Welche Symptome gehören dazu?

Zentral sind seelische und körperliche Ermüdbarkeit und Abgeschlagenheit, reduzierter Antrieb sowie Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. Die Betroffenen klagen zudem oft über den sogenannten Brain Fog, eine Art Nebel, der ihnen das klare Denken erschwert. Individuell können weitere Symptome hinzukommen wie Husten, Kurzatmigkeit und Atemnot bei Belastung, Kopfschmerzen, Muskel- und Gliederschmerzen, Schlafstörungen, depressive Verstimmung, Haarausfall, auch Herzkreislaufprobleme. Die Vielschichtigkeit der Symptome erschwert häufig die Diagnosestellung. Das Post-Covid-Syndrom ähnelt insofern den Symptomen des Chronischen Müdigkeitssyndroms, dem Chronic Fatigue Syndrom, das sich ähnlich schwierig erklären lässt. Patientinnen und Patienten mit dieser Erkrankung leiden ebenfalls unter Antriebsmangel, Schwäche, Konzentrationsstörungen, manchmal auch Schmerzen, erheblicher Verminderung der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit, litten aber zuvor nicht an einer Corona-Infektion. Einen guten Überblick gibt auch die S1-Patientenleitlinie Long-/Post-Covid.


Was wird als Ursache von Post-Covid angesehen?

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© pexels

Bisher gibt es nur Hypothesen. Eine Möglichkeit ist, dass keinen kausalen Zusammenhang gibt zwischen einer überstandenen Covid-19-Infektion und dem Post-Covid-Syndrom, das sich einige Wochen später zeigt. Möglicherweise ist eine andere Erkrankung oder Vorerkrankung, etwa eine Depression, die eigentliche Ursache. Eine zweite Möglichkeit wäre, dass ein gewisser Zusammenhang existiert, weil die Virusinfektion Schäden zum Beispiel in der Lunge, den Blutgefäßen oder im Herzmuskel verursacht hat und es daher zu Symptomen kommt, die aber mit der durchgemachten akuten Corona-Erkrankung nicht mehr direkt in Verbindung stehen. Als dritte Möglichkeit wird eine Autoimmunreaktion als mögliche Ursache vermutet. Tierversuche legen nahe, dass sich Entzündungsreaktionen im Gehirn verselbstständigen können, die von der Corona-Infektion angestoßen wurden. Betroffen sind Areale, die für Konzentration und Gedächtnis zuständig sind (Hippocampus), für die Fähigkeit zu planen (Frontalhirn) und den Schlaf-Wach-Rhythmus (Hypothalamus). Dies würde mehrere Hauptsymptome des Post-Covid-Syndroms erklären.


Menschen beschreiben neben den Hauptsymptomen teilweise unterschiedliche Beschwerden. Hat jeder womöglich eine Schwachstelle, die ganz individuell vom Virus getriggert wird?

Auf jeden Fall. Die Entzündungs- und Autoimmunreaktionen können ganz unterschiedliche Angriffspunkte haben. Menschen zeigen, genetisch bedingt, eine bestimmte Anfälligkeit für bestimmte Störungen. Die Reaktion des Immunsystems kann daher etwa eine Veranlagung zur Depression oder einer Somatisierungsstörung stimulieren.


Manche Patienten beschreiben nach einer Corona-Impfung vergleichbare Symptome wie bei Post-Covid. Man spricht dann auch vom Post-Vac-Syndrom. Wäre dies denkbar?

Die mRNA-Impfung regt den Körper an, zunächst Spike-Proteine und dann Antikörper dagegen zu bilden – ganz ähnlich, wie es bei der eigentlichen Infektion mit dem Covid-19-Virus geschieht. Wenn die damit verbundene Entzündungsreaktion sich jedoch verselbstständigt, zumal im Gehirn, könnte es sich um ein ähnliches Geschehen handeln wie beim Post-Covid-Syndrom. Tatsächlich ist die Anzahl von Menschen, die nach der Impfung an solchen Symptomen leiden, sehr gering im Vergleich zu solchen, die an Corona erkrankt waren. Doch in den Spezialambulanzen am Universitätsklinikum Gießen und Marburg und an der Charité in Berlin melden sich immer wieder Menschen, die noch keine 20 sind, kerngesund und sportlich waren und nach der Impfung plötzlich ihr Leben nicht mehr bewältigen, weil sie unter unerklärlicher Schwäche und Ermüdbarkeit leiden. Diese Patientinnen und Patienten haben derzeit noch größte Schwierigkeiten, eine Anerkennung ihres Leidens zu bekommen, da man oft sagt, dies könne ja auch andere Ursachen haben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Mitte März 2023 zugesagt, die Versorgung und die Therapie zu verbessern, Corona-Impfschäden als Langzeitfolgen müssten schneller anerkannt werden.


Wie sieht es mit der offiziellen Anerkennung von Post-Covid als Erkrankung aus?

Bisher fehlt eine allgemein akzeptierte Definition, vor allem in Abgrenzung zu anderen, nicht Covid-19-bedingten Erkrankungen. Auch hierfür hat Karl Lauterbach Verbesserungen in Aussicht gestellt. Betroffenen rate ich, sich möglichst selbst um eine klinische Erfassung ihrer Symptomatik vor und nach der Covid-19-Erkrankung zu bemühen. So haben sie später objektive Befunde in der Hand, wenn es womöglich auch um die Begutachtung von Rentenansprüchen gehen sollte. Hilfreich sind dann Befunde von Hausärztinnen und Internisten, die eine vorherige körperliche Erkrankung ausschließen. Beim Psychiater oder bei der Psychologin kann man Konzentrationsstörungen und Leistungsdefizite durch neuropsychologische Testverfahren objektivieren, auch um einen Nachweis zu haben, dass man die Symptome nicht vortäuscht (Simulation) oder sich die Symptome aufgrund einer psychischen Störung nur einbildet.


Post-Covid trifft auch junge und sportliche Menschen, die noch ein gutes Immunsystem haben müssten. Wie ist das zu klären?

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Stimmt die Annahme, dass Post-Covid eine Autoimmunerkrankung ist, dann handelt es sich dabei um eine überschießende oder fehlgeleitete Reaktion. Das Immunsystem reagiert übertrieben auf das Fremdeiweiß in Form des Virus, und bildet Antikörper gegen die eigenen Körperzellen – ähnlich auch wie bei der rheumatoiden Arthritis mit Gelenkentzündungen oder der Colitis Ulcerosa, einer chronischen Entzündung des Dickdarms.


Wie wird Post-Covid therapiert?

Bisher ist keine überzeugende Therapie bekannt, die ursächlich wirkt. Wichtig ist umso mehr eine symptomorientierte Therapie mit etablierten medikamentösen und nicht-medikamentösen Behandlungen, beispielsweise eine angemessene Schmerz- und Kreislaufbehandlung oder die medikamentöse Behandlung einer Depression . Hierzu gehört es, zu erfassen, ob besondere psychosoziale Belastungen bestehen, die durch eine Beratung oder psychotherapeutische Behandlung gebessert werden können. Besondere Behandlungsverfahren wie eine Blutwäsche oder Sauerstoffhochdruckbehandlungen (hyperbarer Sauerstofftherapie) werden von den an der genannten Leitlinie beteiligten medizinischen Fachgesellschaften zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als gesichert wirksame Therapien empfohlen. Aus positiven Einzelbeobachtungen können keine allgemeingültigen Rückschlüsse auf eine generelle Wirkung abgeleitet werden. Hier müssen die Ergebnisse der zurzeit durchgeführten kontrollierten Studien abgewartet werden.


Was belastet die Patientinnen und Patienten am meisten?

Eindeutig die psychische Seite: Schlagartig und unerwartet müssen diese Menschen mit dem Verlust bisheriger, selbstverständlicher Fähigkeiten zurechtkommen. Und das in einem Alter, in dem damit überhaupt nicht zu rechnen war. Sie haben vielleicht zuvor Sport gemacht, gesund gelebt und trotzdem leiden sie jetzt an extremer Ermüdbarkeit, haben gleichzeitig Schlafstörungen und kommen mit alltäglichen Belastungen nicht mehr zurecht. Sie kennen den Auslöser nicht, keiner kann ihnen verlässlich sagen, was zu tun ist, damit es ihnen möglichst schnell wieder gut geht. Das beeinträchtigt in besonderem Maße das Selbstwertgefühl: Diese Menschen sind verzweifelt, hilflos, traurig. Mit körperlichen Symptomen kann man eher leben.


Ab wann wäre eine stationäre Therapie bei Post-Covid sinnvoll?

Bleiben Ermüdbarkeit, Schwäche und Gedächtnisstörungen über Monate hinweg bestehen und kommen neben Antriebsmangel weitere Symptome einer Depression hinzu wie Verlust der Lebensfreude und der Interessen, dann ist ein Aufenthalt in der Klinik empfehlenswert. Hier lässt sich auch am einfachsten eine diagnostische Abklärung machen, um körperliche Erkrankungen und andere Autoimmunerkrankungen als Ursache auszuschließen.

 

 

In einigen unserer Einrichtungen gibt es spezielle Ambulanzen oder Anlaufstellen für Menschen, die das Post-Covid-Syndrom bei sich vermuten, eine Diagnose sowie therapeutische Unterstützung benötigen:

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Gießen
Das Post-Covid-Syndrom ist einer der Behandlungsschwerpunkte der Vitos Klinik für Psychosomatik in Gießen. 

Hochtaunuskreis/Frankfurt am Main
In den Vitos Ambulanzen in Bad Homburg, Frankfurt und Friedrichsdorf  gibt es eine Sprechstunde zur Diagnostik bei kognitiven und psychischen Post-Covid-Symptomen.

Köln
Die LVR-Klinik Köln bietet in einer Spezial-Sprechstunde Hilfe und Unterstützung für Betroffene.



Essen
Betroffene können sich in der Psychosomatischen Ambulanz im LVR-Klinikum Essen vorstellen. In der Klinik werden auch ambulante sowie stationäre Behandlungen für Post-Covid-Patientinnen und -Patienten angeboten.

Oberbayern
Das kbo-Inn-Salzach-Klinikum verfügt über eine Tagesklinik für Long- und Post-Covid-Erkrankte.

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München
Am kbo-Isar-Amper-Klinikum finden Sie sowohl eine Post-Covid-Ambulanz als auch eine entsprechende Tagesklinik vor.

Gütersloh
Betroffene können sich an die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL wenden.

Münster
An der LWL-Klinik Münster ist die Abteilung Psychosomatik eine Anlaufstelle für Post-Covid-Betroffene.

Bochum
Wer eine Post-Covid-Erkrankung vermutet, findet am LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie Unterstützung.

Landau
Im Landauer Ambulanz Zentrum des Pfalzklinikums  wird eine Long Covid Gruppentherapie angeboten (Infos dazu finden Sie auf der verlinkten Seite unter „Gruppentherapien für Betroffene“ im Ausklappmenü).

 

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Wer hilft beim Post-Covid-Syndrom?