![Prof. Dr. med. Barbara Schneider M.Sc [m.sc]., MHBA](/index.php/system/files/styles/landscape_lg/private/2025-08/Prof_Schneider_Barbara_%28c%29%20LVR-ZMB%2C%20A.%20Stiens.jpg?itok=wM1Ot-vP)
Mythen enttarnen, Tabuisierung aufheben, Leben retten: Das Nationale Suizidpräventionsprogramm NaSPro setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Suizidgedanken Hilfe erhalten. Was dafür dringend nötig wäre und wie Medien, Film und Fernsehen mit dem Thema Suizid umgehen sollten, erfahren Sie hier.
Maximale Überforderung, tiefe Verzweiflung – und schließlich scheint es nur noch einen Ausweg zu geben: Rund 10.000 Menschen in Deutschland begehen jedes Jahr Suizid. Das sind weit mehr Menschen als im Jahr 2023 bei Verkehrsunfällen, durch Aids, Konsum illegaler Drogen sowie Mord zusammengenommen ums Leben kamen. Zudem ist Suizid bei jungen Erwachsenen zwischen 15 und 24 Jahren die häufigste Todesursache. „So müsste das nicht sein“, sagt Professorin Barbara Schneider, „Hilfe ist möglich.“
Sie ist Chefärztin der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen, Psychiatrie und Psychotherapie an der LVR-Klinik Köln und leitet, gemeinsam mit ihrem Kasseler Kollegen Professor Reinhard Lindner, das Nationale Suizidpräventionsprogramm, kurz NaSPro. Dieses zumeist ehrenamtlich tätige Expertennetzwerk engagiert sich bundesweit unter anderem mit Broschüren, Veranstaltungen und Projekten für Aufklärung und Enttabuisierung, um die Suizidprävention zu fördern und weiterzuentwickeln.
Wie die Suizidprävention in Deutschland vorangebracht werden könnte

„Es gibt diese durchaus, aber leider findet in Deutschland immer noch nicht jeder Mensch die Hilfe, die er braucht“, sagt die Medizinerin. Eine bundesweit einheitliche Hotline bei akuter Suizidgefährdung gehöre deshalb an oberster Stelle zu dem, „was wir uns wünschen“.
2024 hat der damalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Nationale Suizidpräventionsstrategie vorgestellt, die das auch vorsieht. Ebenso wird unter anderem eine bundesweite Koordinierungsstelle für Beratungs- und Kooperationsangebote empfohlen. „Eine zeitnahe gesetzliche Regelung der Suizidprävention würden wir sehr begrüßen“, so Prof. Schneider. „In den USA, in Kanada und den Niederlanden etwa existiert eine solche Hotline seit langem, ergänzt sie, „dort werden zweistellige Millionenbeträge dafür investiert.“
Was Menschen mit Suizidgedanken hilft und was schadet
„Es ist wichtig zu verstehen, dass Menschen mit akuter Suizidgefährdung etwas anderes benötigen als Menschen in psychischen Krisen“, erläutert die Medizinerin. Während für Menschen in psychischen Krisen die vielen psychosozialen Hilfsstrukturen wesentlich seien, wofür es ebenfalls immer noch keine zentrale Hotline gebe, bräuchten Menschen mit Suizidalität ein anderes Angebot. „Drei von vier Menschen, die einen Suizidversuch unternommen und überlebt haben, berichten übereinstimmend, dass zwischen dem ersten suizidalen Gedanken und der Umsetzung weniger als 180 Minuten, also weniger als drei Stunden, vergangen sind“, berichtet Prof. Schneider. „Suizidalität ist kein dauerhafter, sondern ein vorübergehender Zustand“, betont sie, „die Gedanken an einen Suizid lassen sich unterbrechen.“ Und sie erläutert, dass Betroffene immer ambivalent seien, wie bei anderen Gefühlszuständen auch: „Gerade bei Suizidalität schwankt ein Mensch zwischen dem So-nicht-weiterleben-Können und dem Eigentlich-nicht-sterben-Wollen, und das äußert sich ganz oft in gleichzeitig vorhandenen Zeichen von Lebenswunsch und Todeswunsch.“
Suizidprävention für Menschen in allen Lebenslagen und Branchen
Dagegen wendet sich das NaSPro mit seiner Aufklärungsarbeit ebenso wie gegen die sich hartnäckig haltende Furcht, einen Menschen vielleicht erst auf die Idee zu bringen, sich das Leben zu nehmen, wenn man ihn nach möglicherweise suizidalen Gedanken fragt. „Das Gegenteil ist der Fall“, sagt Prof. Schneider, „die meisten Menschen wissen nur nicht, wie sie überhaupt über ihre Suizidalität sprechen sollen. Sie fürchten zum Beispiel, dass ihr Therapeut von ihnen enttäuscht sein könnte oder dass sie zwangseingewiesen werden.“ Angesichts all dieser Aspekte käme einer einheitlichen Rufnummer für Menschen mit Suizidgedanken mit entsprechend geschulten Mitarbeitenden umso mehr Bedeutung zu.
Bis diese Wirklichkeit wird, setzt sich das schon 2001 gestartete NaSPro auch dafür ein, sich mit anderen Hilfsangeboten zu vernetzen und zu erforschen, wie in verschiedenen Lebenskontexten meist komplexe Gründe überhaupt zu Suizidalität führen können – und wie sich dies verhindern ließe. Nicht immer sind psychische Erkrankungen die Ursache.
„Unser Herzstück sind unsere inzwischen 15 Arbeitsgruppen mit Unterarbeitsgruppen. Sie widmen sich der Frage, was gelingende Suizidprävention benötigt: für ältere und junge Menschen, im Gesundheitswesen, zum Beispiel in der Psychiatrie oder in der Palliativversorgung, im Strafvollzug, in der Bundeswehr oder etwa in der grünen Branche. Dazu gehören Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft sowie Weinbau.“ In diesen Bereichen sei der Bedarf derzeit besonders groß, berichtet Prof. Schneider: „Es besteht ein hoher wirtschaftlicher Druck und dieser Bereich hat ein ,Imageproblem', sodass die Menschen, die dort tätig sind, Vorurteilen und Ausgrenzung begegnen.“
Die in den Arbeitsgruppen gewonnenen Erkenntnisse münden in zahlreiche spezifische Broschüren, Flyer und weiteren Materialien, die auf der Website des NaSPro zum kostenlosen Download bereitstehen.
Verantwortungsbewusst darstellen und berichten: Suizid in Medien, Film und Fernsehen
Weil in den letzten 20 Jahren die Zahl an Berichten über Suizide zugenommen hat, wurde auch eine AG Medien ins Leben gerufen. Sie möchte dafür sensibilisieren, ob überhaupt und wenn ja, in welcher Form und mit welchem Vokabular über einen Suizid berichtet wird. Zu den Empfehlungen gehört unter anderem:
- keine Details zu nennen
- auf Bildmaterial zu verzichten
- den Suizid nicht zu romantisieren oder zu dramatisieren – aus Rücksicht auf die Angehörigen, aber auch, um Nachahmungstaten zu vermeiden.
Grundsätzlich sollte abschließend immer auf Hilfsangebote, Warnsignale und Risikofaktoren hingewiesen werden.
Im April 2025 sind Empfehlungen für Film-, Fernseh- und Theaterschaffende hinzu gekommen, wie auch sie zur Suizidprävention beitragen können, wenn in Drehbüchern und Skripten Selbsttötungen vorkommen.
Veranstaltungshinweis
Am 10. September findet jährlich der Weltsuizidpräventionstag statt, der von der Weltgesundheitsorganisation WHO und der International Association for Suicide Prevention ausgerufen wurde. Das Nationale Suizidpräventionsprogramm lädt dieses Jahr am 15. September online zu seiner Jahrestagung ein. Unter dem Motto „Suizidprävention lebt“ können sich auch interessierte Laien kostenfrei dazu anmelden.
Haben Sie Suizidgedanken?
Kinder und Jugendliche können sich an die "Nummer gegen Kummer" unter 116 111 wenden.