Aus schwierigen Lebenssituationen gestärkt hervorgehen – diese Fähigkeit kann sich jeder Mensch aneignen. Sogar bis ins hohe Alter. Wesentlich dafür sind der bewusste Umgang mit den eigenen Emotionen und Gedanken, der Wille, Krisen zu bewältigen und daraus zu lernen sowie ein gutes soziales Netz. Auch das Risiko für psychische Erkrankungen lässt sich so zumindest verringern, wie Prof. Dr. Brigitte Anderl-Doliwa vom Pfalzklinikum in Klingenmünster erklärt.
Wir alle wissen, wie sich das Immunsystem des Körpers trainieren lässt: Viel Gemüse und Obst, ausreichend Bewegung und Schlaf und auch mal bei Wind und Wetter rausgehen. All das stärkt unsere körperlichen Abwehrkräfte. Aber wie sieht es mit diesem anderen Immunsystem aus, mit den Abwehrkräften der Seele? Diese gibt es tatsächlich auch und das Stichwort dafür lautet „Resilienz“. Was genau ist damit gemeint?
„Der Begriff stammt ursprünglich aus der Werkstoffkunde“, sagt Prof. Dr. Brigitte Anderl-Doliwa, Pflegedirektorin am Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie in Klingenmünster. „Er beschreibt ein elastisches Material, das sich unter Druck verformt, aber seine alte Gestalt wieder annimmt, wenn der Druck nachlässt.“ Ein Gummiball reagiert so, wenn man ihn in der Hand zusammenpresst und wieder loslässt, oder auch eine Metallfeder. In den vergangenen 20 Jahren ist der Begriff zunehmend auch in die Psychologie übergegangen: „Hier sprechen wir von Resilienz, wenn Menschen Belastungen oder Krisen gut bewältigen können und keinen körperlichen oder psychischen Schaden nehmen“, Anderl-Doliwa. „Sie können sich gut anpassen an herausfordernde Situationen, Verlusterlebnisse und andere schwierige Lebensereignisse.“
Resilienz lässt sich erlernen
Solche Menschen lassen sich weniger schnell entmutigen als andere. Sie scheinen, wie man umgangssprachlich sagt, eine „dickere Haut“ zu haben. Doch über Resilienz zu verfügen oder nicht, ist kein Schicksal. „Bis ins hohe Alter kann jeder Resilienz erlernen“, sagt Anderl-Doliwa: „Diese Fähigkeit passt sich dynamisch an.“ Die Pflegedirektorin erzählt von Emmy Werner, der „Mutter der Resilienzforschung“. Die amerikanische Psychologin begleitete auf der hawaiianischen Insel Kauai für 40 Jahre alle Menschen des Jahrgangs 1955 und stellte fest: Von den Kindern, die unter widrigsten Bedingungen aufwuchsen, in größter Armut oder mit einem psychisch kranken Elternteil, gelang es etwa einem Drittel, ein erfülltes und erfolgreiches Leben zu führen. Damit war widerlegt, dass ein schwieriger Start ins Leben unweigerlich zu weniger gesellschaftlichen Chancen oder etwa Suchterkrankungen führen muss. Die „seelische Resilienz“ war entdeckt – und damit auch Kriterien, die dazu beitragen können, diese auszubilden.
„Es gibt einige wenige angeborene Faktoren wie Intelligenz und eine grundsätzlich optimistische Lebenseinstellung“, erklärt Anderl-Doliwa. Auch das erstgeborene Kind in einer Familie zu sein, kann förderlich sein, „vermutlich, weil man die Eltern in einer frühen Phase seiner Entwicklung für sich allein hatte und sie nicht teilen musste.“ Drei Faktoren aber seien zentral, um selbst resilient zu werden. Wer darüber verfügt, erlebt größere Gelassenheit und Sicherheit.
Drei Faktoren für Resilienz
Ein guter Umgang mit den eigenen Emotionen:
Resilienz hat damit zu tun, seine Emotionen spüren, benennen, sie kontrollieren und bewältigen zu können. Also zum Beispiel, sich bei Angst vor einem möglichen Konflikt bewusst zu machen, dass es vielleicht gar nicht so schlimm wird. Man lässt nicht zu, dass die Angst einen überflutet oder dafür sorgt, dem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Steigt Wut in einem auf, könne man sich fragen, ob die Reaktion des Gegenübers vielleicht auch an einem selbst lag, an dem, was man gesagt oder getan hat. Wer so denkt und handelt, verfüge laut Anderl-Doliwa über Selbstbewältigungskompetenz. „Eine solche Person weiß, dass sie Einfluss auf ihre Gefühle nehmen kann. Und sie kann von sich selbst erwarten, entsprechende Situationen zu meistern.“
Krisenkompetenz:
Erfolgreich bewältigte Krisen stärkten die Resilienz, „ähnlich wie ein Muskel kräftiger wird, wenn ich ihn trainiere“, so Anderl-Doliwa. In herausfordernden Situationen handlungsfähig zu sein und das von sich selbst auch erwarten zu können, ist Ausdruck von Resilienz. Hinzu komme ein Lerneffekt: Erinnert man sich an bereits gemeisterte Krisen, kann man versuchen herauszufinden, wie einem das gelungen ist. Die dabei gelernten Fähigkeiten werden dann neu aktiviert. Das seelische Immunsystem lernt durch Belastung – ähnlich wie das Immunsystem des Körpers, das mit jedem bezwungenen Erreger besser wird.
Ein gutes soziales Netz:
„Gerade dies hat sehr viel Einfluss auf die eigene Resilienz“, erklärt Anderl-Doliwa. Inzwischen wisse die Forschung auch: Soziale Isolation und Einsamkeit sind genauso gesundheitsschädlich für die Seele wie starkes Rauchen für den Körper. Die resilienten Kinder auf Kauai hatten zwar oftmals ein schwieriges Elternhaus, aber in der Regel eine wichtige Bezugsperson außerhalb der Familie. Dabei ist zu beachten: Es kommt nicht darauf an, viele (vermeintliche) Freundinnen und Freunde zu haben, sondern auf die Qualität der Beziehungen. Habe ich Menschen um mich herum, auf die ich mich wirklich verlassen kann?
Kreativität schult Durchhaltevermögen
Ergänzend sind kreative Tätigkeiten hilfreich. Etwa ein Instrument spielen zu können, zu malen, sich im Sport zu beweisen: „Dabei wird das eigene Durchhaltevermögen geschult und die Fähigkeit, mit Durststrecken oder Frust umzugehen, wenn es mal nicht so klappt, wie man es gerne hätte, oder man etwas nicht so schnell lernt“, erklärt Anderl-Doliwa. „Wir sprechen hier auch von ,reifen Bewältigungsstrategien‘.“ Hinzu komme die Frage der Sinnhaftigkeit. Hat das, was ich tue, eine Bedeutung, einen Sinn für mich und mein Leben?“ All das stärkt die eigenen Ressourcen und die Selbstwirksamkeit – die innere Gewissheit und das Vertrauen darauf, sein Leben auch aus eigener Kraft in gute Bahnen lenken zu können.
Nicht von ungefähr gehören zur Behandlung psychischer Erkrankungen Kreativtherapien wie Malen oder Töpfern, Entspannungsverfahrungen (sie stärken in besonderem Maße die Selbstfürsorge) und Kognitive Verhaltenstherapien. In diesen Stunden werden eigene, ungünstige Gedankenmuster bewusst gemacht und, wenn möglich, verändert: Erwarte ich das Schlimmste, wie es oft bei Depressionen der Fall ist? Oder kann ich optimistisch in die Zukunft blicken? Ist das Glas für mich halb voll oder halb leer? „Resilienz kann zwar letztlich nicht verhindern, dass jemand psychisch erkrankt, da hierzu immer mehrere Faktoren beitragen“, so Anderl-Doliwa. „Das Risiko verringert sich aber zumindest.“ Umgekehrt gelte: Baut jemand Resilienz auf, wird sich das positiv auswirken, auch auf eine vorhandene psychische Erkrankung.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass der Begriff Resilienz in einer Zeit populär geworden ist, die von einer Vielzahl globaler und gesellschaftlicher Krisen gekennzeichnet ist: Kriege, Klimawandel, die Corona-Pandemie, Inflation, Veränderungen in der Arbeitswelt durch Verdichtung und Künstliche Intelligenz. Teil der Selbstfürsorge und Selbstwirksamkeit kann es daher sein, negative Nachrichten nur in Maßen zu konsumieren. Und jeden Tag Gutes im eigenen Leben zu bemerken und dankbar dafür zu sein. Inspirationen dazu liefert auch die Initiative „Die Pfalz macht sich/dich stark – Wege zur Resilienz“.