Leichte Sprache

Wenn Sprechen und Verstehen Unterstützung brauchen

Sich sprachlich ausdrücken zu können, andere zu verstehen und verstanden zu werden, ist für viele Menschen eine Selbstverständlichkeit. Für manche Kinder und Jugendliche kann Sprechen und Kommunizieren jedoch eine große Hürde sein. Dagmar Huber und Heike Beyer helfen ihnen. Sie sind Sprachtherapeutinnen am „Zentrum für Autismus und Störungen der sprachlichen und geistigen Entwicklung“ des kbo-Heckscher-Klinikums in Haar bei München. Wie ihre Arbeit aussieht, schildern sie hier.

 

Frau Beyer, mit welchen Symptomen kommen Kinder und Jugendliche zu Ihnen?

Die Bandbreite ist sehr groß. Manche Kinder lernen nicht richtig sprechen, sie äußern nur einzelne Wörter. Manche bilden ganze Sätze, aber nicht ihrem Alter entsprechend. Oder sie sprechen zwar, wissen aber nicht, wie sie mit anderen kommunizieren sollen oder verstehen Sprachbilder und Witze nicht. Bei anderen setzt überhaupt keine lautsprachliche Entwicklung ein und das Kind drückt sich nur über Zeigen und Lautieren aus. Andere erwerben ausreichende Sprachkompetenzen, sprechen aber in manchen Situationen oder mit bestimmten Personen nicht, was als ,selektiver Mutismus‘ bezeichnet wird. Neben der eigenen Sprachproduktion kann auch das Sprachverständnis beeinträchtigt sein und damit auch die Fähigkeit, das Gehörte in eine Handlung umzusetzen. Etwa, wenn ich sage: „Leg den Ball bitte unter den Tisch!“, dies auch zu tun.

 

Das fällt dann Eltern auf oder aber auch in der Kita oder in der Schule?

Genau. Es kommt immer wieder zu Missverständnissen in sozialen Interaktionen. Kinder haben Schwierigkeiten, oft schon im Kindergartenalter, oder ziehen sich sehr zurück.

 

Frau Huber, welche Diagnosen werden bei Ihnen am häufigsten gestellt?

Häufig geht es darum, den Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung abzuklären, zu der oft Sprachstörungen und Kommunikationsschwierigkeiten gehören. Auch klären wir, ob eine Sprachstörung im Rahmen einer Intelligenzminderung vorliegt oder ein Kind neben einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, kurz ADHS, auch eine Sprachstörung hat. Sprachentwicklungsstörungen treten aber auch isoliert auf.

 

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Blogbeitrag Depression
Foto: © Pexels

Wie oft treten Sprachstörungen auf?

Circa sechs und bis acht Prozent der Kinder sind davon betroffen, Jungen doppelt so oft wie Mädchen.

 

Wie können Sie Kindern und Jugendlichen mit Sprachtherapie helfen?

Lernt ein Kind nicht genügend Wörter, unterstützen wir es dabei, seinen Wortschatz zu erweitern. Dazu machen wir Sprache auch sichtbar, etwa durch begleitende Gebärden, wenn wir zum Beispiel sagen ,Komm und bring mir den Ball!‘. So hört das Kind nicht nur, was gesagt wurde, sondern sieht auch, was gemeint ist. Wir winken das Kind zu uns heran, und beim Wort ,Ball‘ bilden wir diesen mit einer runden Bewegung mit beiden Händen nach. Oder es bekommt ein Tablet mit einer Kommunikations-App. Diese Formen der ,Unterstützten Kommunikation‘ sollen aber letztlich dazu anregen, irgendwann selbst zu sprechen.

 

Frau Beyer, bei Autismus-Spektrum-Störungen ist Sprache oft vorhanden, aber Kinder und Jugendliche tun sich schwer, mit anderen in Beziehung zu treten. Welche Möglichkeiten haben Sie in dieser Situation?

Das stimmt. Diese Kinder und Jugendliche haben oft auch Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse angemessen mitzuteilen oder ihre Gefühle verbal zum Ausdruck zu bringen. Das erschwert ihren Alltag sehr.

Bei diesen Kindern schaffen wir dann Situationen, in denen das Kind aufgefordert ist, sich zu äußern, um etwa ein Spielzeug zu bekommen. Zudem üben wir das Erkennen und Benennen von Gefühlen. Oder wir besprechen, wie man auf andere zugeht – und dass etwa schubsen nicht günstig ist.

Besser wäre es zum Beispiel zu winken. Dazu erstellen wir einen Ablaufplan mit Bildern, wie ich andere Menschen begrüße. Diesen hängen wir dann an die Garderobe, damit das Kind die Verhaltensalternativen immer wieder sehen kann.

 

Wie kommen Sie selbst mit Kindern und Jugendlichen im autistischen Spektrum in Kontakt?

Das therapeutische Vorgehen ist sehr individuell. Dazu gehört, dass wir Spezialinteressen aufgreifen, die diese Kinder und Jugendlichen oft haben. Schließlich ist es einfacher, über etwas zu reden, das sie wirklich begeistert: Zugmodelle, Autotypen oder Tiefseefische, das funktioniert recht gut. Die Arbeit schult auch uns stetig, selbst kleine Entwicklungsschritte zu sehen und offen zu bleiben, wie schnell sich welche Erfolge einstellen.

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Sprachtherapie-kbo
Foto: ©kbo; Sprachtherapeutinnen; links: Dagmar Huber, rechts: Heike Beyer

 

Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen meiden oft auch den Blickkontakt. Haben sie weniger Interesse an einem Austausch?

Für Kinder im autistischen Spektrum ist es unglaublich anstrengend in einer Gruppe zu sein. Das bedeutet aber nicht, dass sie nirgendwo teilnehmen möchten. Sie nehmen Sinnesreize wie Licht oder Umgebungsgeräusche nur viel intensiver wahr, weshalb sie in einer Gruppe viel eher in Stress geraten – und sich dann zurückziehen. Hinzu kommt, dass sie soziale Situationen nicht so gut erfassen und keine Regeln für ihr Verhalten daraus ableiten können. Daher versuchen wir, Umgebungsbedingungen idealer zu machen. Für die Schule empfehlen wir kleinere Gruppen. Einigen Kindern hilft es zum Beispiel, in schwierigen Situationen draußen Lärmschutzkopfhörer aufzuziehen. Wir stärken das gesamte Helfer- und Helferinnensystem um das Kind oder die Jugendlichen herum.

 

Frau Huber, welche Tipps können Sie Eltern geben?

Für Eltern ist die Zeit der Therapie oft ein Prozess, in dem sie ihr Kind selbst besser kennenlernen und verstehen.

Es ist zum Beispiel sehr wichtig, die kommunikativen Signale des eigenen Kindes besser zu deuten und darauf passend zu reagieren. Eltern können lernen, ihr eigenes Sprechen zu vereinfachen, sich klar und konkret auszudrücken und Wichtiges mit Gebärden hervorzuheben.

Dafür ist es wichtig, Eltern gut in die sprachtherapeutische Arbeit miteinzubeziehen, damit sie für das Kind eingesetzte Methoden aus der ,Unterstützten Kommunikation‘ selbst miterlernen. Generell ist Psychoedukation sehr hilfreich. In unseren verschiedenen Elterngruppen wird dazu viel Wissen vermittelt und hier besteht auch die Gelegenheit, sich mit anderen Müttern und Vätern auszutauschen und voneinander zu lernen.

 

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Blog Eltern-Kind-Einheit
Foto: © Pexels

Wenn ein Kind nicht so gut sprechen lernt wie andere, sollten Eltern das immer ärztlich abklären lassen?

Es ist ganz wichtig, auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Tatsächlich gibt es Kinder, die vergleichsweise spät sprechen lernen. Es muss keine Autismus-Spektrum-Störung oder ADHS vorliegen, auch eine isolierte Sprachentwicklungsstörung sollte behandelt werden. Um Klarheit zu bekommen, kann der Hausarzt oder die Hausärztin ein Rezept ausstellen für eine Diagnose bei einer Sprachtherapeutin oder einem Sprachtherapeut. Wir sehen immer wieder, dass Jahre verstreichen, bis Eltern ihre Kinder bei uns vorstellen. Dabei kann die Therapie umso erfolgreicher sein, je eher sie beginnt.

 

Wie lang kommt ein Kind zu Ihnen?

Oft werden Kinder das erste Mal im Vorschulalter vorgestellt. Bei leichten Sprachstörungen ist der Rückstand vielleicht nach zwei Jahren aufgeholt und dann sehen wir das Kind nicht mehr. Diagnosen wie eine Autismus-Spektrum-Störung oder ADHS gelten hingegen ein Leben lang, daher begleiten wir diese Kinder häufig über die Jugend bis ins Erwachsenenalter. Denn die Fragestellungen verändern sich. Erst wird die Hürde geschafft, dass ein Kind eingeschult wird. Nach ein paar Jahren stellt sich die Frage nach einem passenden Schulplatz eventuell aber erneut. Manche Kinder aus dem autistischen Spektrum machen Abitur und studieren oder absolvieren eine Ausbildung. Oft haben sie gute analytische Fähigkeiten. Diese müssen aber eingebettet werden in Sozialkompetenz, und die vermitteln wir hier. Bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen geht es vor allem auch darum, ihre Lebensqualität zu verbessern und sie dabei zu unterstützen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.