Leichte Sprache

„Wir wollen entstigmatisieren – und keine Ängste schüren“

Im Podcast „Psyche im Quadrat“ spricht Matthias Riedel-Rüppel über psychische Gesundheit, Stigmatisierung und das Gefühl von Geborgenheit in der Klinik.

 

Bild
Matthias Riedl-Rüppel
Matthias Riedel-Rüppel © Sebastian Griebel

Herr Riedel-Rüppel, Sie sind Intendant des Kleinen Theaters Haar. Wie kam es, dass Sie nun einen Podcast über psychische Gesundheit moderieren?

Das hat sich eher zufällig ergeben. Der Bezirk Oberbayern wollte gemeinsam mit den Kliniken des Bezirk Oberbayern (kbo) und Angehörigenverbänden ein Format schaffen, das psychische Gesundheit aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Ursprünglich suchte man nur nach einem geeigneten Raum und der erforderlichen Technik – und da lag das Kleine Theater Haar nahe: Es steht auf dem historischen Gelände der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Haar, einer der größten psychiatrischen Einrichtungen Bayerns. Wir haben eine Pilotfolge aufgenommen, und plötzlich war ich Moderator. Und es macht mir wirklich großen Spaß!

 

In der ersten von zwei Folgen zum Thema Ersterkrankung haben Sie mit Peter Bechmann gesprochen, der als junger Mensch die Diagnose „bipolare Störung Typ 1“ erhielt – eine Erkrankung, in der sich manische und depressive Phasen abwechseln.

Genau. Peter Bechmann arbeitet im Bereich Kommunikation des Bezirks Oberbayern, ich bin dort im Kulturreferat beschäftigt. Wir sind also Kollegen, und er erzählte mir irgendwann, dass er sich bei der Selbsthilfegruppe BASTAengagiert, die in Schulen geht und über psychische Erkrankungen spricht. So kamen wir schon vor vielen Jahren auf das Thema psychische Gesundheit zu sprechen. Trotzdem war er für mich immer Peter: kreativ und ein großartiger Fotograf, nicht jemand mit einer psychischen Störung. Um genau diese Entstigmatisierung geht es auch im Podcast.

 

Erleben auch Ihre Podcast-Gäste, dass es beim Thema psychische Erkrankungen immer noch viele Vorurteile und Berührungsängste gibt?

Ja, davon hat auch die Angehörige erzählt, die in der ersten Folge zu Wort kam. Es ist ja auch kein Wunder: Ist in den Nachrichten von einem Attentat die Rede, heißt es fast immer im zweiten Satz: „Er hatte eine psychische Erkrankung.“ Natürlich kommt das vor, aber der allergrößte Teil der Menschen mit einer psychischen Erkrankung würde nie jemandem etwas zuleide tun. Entsprechend sage ich mal etwas salopp: Es gibt nette Menschen und solche, die sich daneben benehmen oder üble Dinge tun – und beides kommt in allen Varianten vor, mit und ohne psychische Erkrankung, aus allen Ländern und Lebenslagen. Doch die Stigmatisierung verhindert, dass sich Menschen Hilfe holen. Wenn sie bei uns im Podcast hören, dass andere den Schritt geschafft haben und heute glücklich darüber sind, in eine Klinik gegangen zu sein, dann ist viel erreicht. Wir möchten aufklären und ganz praktisch Wege aufzeigen.

 

In der zweiten Folge sprechen Sie darüber, wie der Krisendienst Psychiatrie arbeitet.

Die Teams fahren zu den Menschen hin, und zwar mit neutralen Autos, auf denen nichts von „Psychiatrie“ steht. Das ist wichtig, weil es Hemmschwellen abbaut. Trotzdem kann es natürlich Situationen geben, in denen Unterstützung durch die Polizei notwendig ist – etwa bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung. Wenn dann ein blau-weißer Wagen vor der Tür steht, ist das automatisch sichtbar. Und in genau diesem Moment entsteht oft schon ein Gefühl von Stigmatisierung. Im Podcast sprechen wir offen darüber, wie wir vermeiden, dass aus einer solchen Situation Angst entsteht. Denn wenn die Sorge mitschwingt, dass nach einem Anruf beim Krisendienst vielleicht gleich die Polizei kommt, hält das manche Menschen davon ab, Hilfe zu suchen. Aber das Gegenteil ist das Ziel: Der Krisendienst soll Wege aufzeigen, und zwar möglichst früh, bevor eine Situation eskaliert. Im besten Fall findet man gemeinsam eine Lösung zu Hause, mit Unterstützung aus der Familie oder dem Umfeld.

 

Bei bestimmten Erkrankungen, etwa Schizophrenie, kann die fehlende Krankheitseinsicht manchmal zur Symptomatik gehören. Dann ist es verständlich, dass Betroffene nicht freiwillig Hilfe suchen.

Entsprechend sagt Prof. Dr. Florian Seemüller, der Chefarzt der kbo-Lech-Mangfall-Kliniken in Garmisch-Partenkirchen, Peißenberg und Murnau und Gast unserer dritten Folge, ganz klar: Geplante Klinikaufenthalte sind nicht die Mehrheit. Viele Menschen werden eingewiesen, und das kann natürlich Ängste auslösen. Gerade deshalb ist die Perspektive der Angehörigen so wichtig: Sie merken oft früh, wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät, und sie sind selbst stark belastet. Für Betroffene wiederum ist die Frage der Selbstbestimmung zentral: Wie viel Autonomie gebe ich auf, wenn ich in eine Klinik gehe? Diese Sorge ist real, und sie ist auch total nachvollziehbar. Aber man darf sich eben auch einmal in die Hände eines multiprofessionellen Teams begeben, dessen Ziel es ist, zu schützen und zu stabilisieren. Letztlich geht es darum, dass es einem möglichst bald besser geht. Und genau in diesem geschützten Rahmen kann Geborgenheit entstehen.

 

Wie lässt sich dieses Gefühl von Geborgenheit in einer Klinik überhaupt herstellen?

Ein Freund von mir hatte Epilepsie und war durch Medikamente in eine Abhängigkeit von Benzodiazepinen geraten, von Beruhigungsmitteln. Er brauchte eine Klinik, in der Neurologie und Suchtmedizin eng zusammenarbeiten. Ein Jahr später schrieb er mir: „Mir fehlt diese Geborgenheit – dieses Gefühl, sich gegenseitig stützen zu können, wenns einem schlecht geht.“ Das hat mich sehr berührt, weil es zeigt, dass in einer Klinik auch eine Art Gemeinschaft entsteht – eine Peergroup von Menschen, die ähnliche Erfahrungen teilen.

 

Matthias Riedel Rüppel ist Intendant des Kleinen Theaters Haar und moderiert den Podcast „Psyche im Quadrat“. Er studierte an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und engagiert sich mit Projekten an der Schnittstelle von Kultur, Öffentlichkeit und psychischer Gesundheit. Für den Bezirk Oberbayern organisiert er „ZAMMA – Das Festival in Oberbayern“, das durchgängig auf Inklusion und Partizipation setzt.