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Demenz früh erkennen und verlangsamen: Wie Prävent+ dabei helfen kann

Demenzerkrankungen nehmen aufgrund der alternden Gesellschaft zu. Studien zeigen, dass eine gesündere Lebensführung und soziale Aktivitäten das Auftreten einer Demenz zu 45 Prozent verhindern oder aber das Fortschreiten verlangsamen können. Zur Früherkennung und zeitgerechten Diagnostik bietet das Pfalzklinikum in Klingenmünster das innovative Projekt Prävent+ an: Menschen ab 50 Jahren werden bei ersten Anzeichen nachlassender Gedächtnisleistung auf Wunsch zuhause aufgesucht und mit Diagnostik, Anregungen zur Lebensstiländerung und möglicher Therapie unterstützt. 

Mit seinen 69 Jahren steht Christian Bauer mitten im Leben. Der Mann aus der Umgebung von Landau war bis vor wenigen Jahren ein geschätzter Mitarbeiter in einem großen Unternehmen. Nun ist er in Rente. Er engagiert sich ehrenamtlich in zwei Vereinen und macht regelmäßig Sport. Gemeinsam mit seiner Frau Kathrin kümmert er sich zudem regelmäßig um die drei Enkel. Er fühlt sich fit und gesund. Allerdings fallen ihm in letzter Zeit die Namen seiner Enkelkinder nicht mehr ein, kürzlich vergaß er zum ersten Mal einen wichtigen Vereinstermin und zweimal musste er schon sein Auto im Parkhaus suchen, weil er nicht mehr wusste, wo er es abgestellt hatte. Christian Bauer beunruhigen seine zunehmenden Gedächtnisprobleme, seiner Frau fallen sie auch auf. Ist das noch altersgerecht oder könnte es sich um die ersten Anzeichen einer beginnenden Demenz handeln? 

Wer sich der Furcht stellt, kann noch viel bewirken

Christian Bauer gibt es nicht, das Beispiel ist fiktiv. Und doch könnte ein Fall genau so aussehen. Wie könnte es also für ihn weitergehen? Mit der Zustimmung ihres Ehemanns vereinbart Kathrin Bauer einen Termin mit dem Team von Prävent+, einem deutschlandweit einzigartigen Projekt des Pfalzklinikums in Klingenmünster, das 2025 von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mit dem erstmalig vergebenen  Preis der Fachgesellschaft ausgezeichnet worden ist. Es dient der Früherkennung von Gedächtnisveränderungen und findet weitgehend zuhause statt. Dieses niederschwellige Angebot erspart den Weg in die Gedächtnisambulanz der Klinik und macht es einfacher, sich für dieses Thema zu öffnen. 

Dem Team gehören speziell ausgebildete Pflegekräfte mit Masterabschluss und Berufserfahrung („Advanced Practice Nurse“, APN) sowie ein Facharzt an, außerdem sind Hausärzte und soziale Einrichtungen in einem erweiterten Netzwerk eingebunden. Das Ziel: Eine Demenzerkrankung entweder auszuschließen oder aber so frühzeitig zu diagnostizieren, dass sich der Verlauf möglichst verlangsamen lässt, die Betroffenen bei der weiteren Behandlung zu begleiten und ihnen und ihren Angehörigen so lange wie möglich ein selbstständiges Leben ermöglichen. Eine Demenz ist nicht heilbar, die Alzheimer-Erkrankung als häufigste Ursache einer Demenz lässt sich aber im frühen Stadium behandeln, sodass der Verlauf verzögert wird.

Diskret, kompetent, umfassend: So geht Prävent+ vor

„Der erste Besuch ist dafür da, sich kennenzulernen und um gegenseitig Vertrauen und eine professionelle Beziehung aufzubauen“, erklärt Projektleiter David García Méndez, der selbst die Ausbildung zur APN abgeschlossen hat. Im Erstgespräch die werden kognitive Beschwerden,körperlichen Erkrankungen und deren Behandlung erfragt, außerdem ob in der Familie jemand von einer Demenz betroffen war. Gibt es bereits Alltagseinschränkungen wie, dass jemand nicht mehr weiß, wie die Spülmaschine funktioniert oder der Wäschetrockner? Das wäre ein deutlicherer Hinweis auf eine Demenzerkrankung. Erste Testungen finden ebenfalls schon statt und es werden Risikofaktoren abgefragt. 

Die 14 Risikofaktoren für Demenz minimieren

„Forscher haben inzwischen 14 Risikofaktoren identifiziert, die eine demenzielle Erkrankung begünstigen können“, sagt David García Méndez: „Werden sie minimiert, lässt sich eine Demenz zu 45 Prozent verhindern oder aber ein Fortschreiten einer schon bestehenden Erkrankung zwar nicht rückgängig machen, aber zumindest verlangsamen.“ Zu den übrigen 55 Prozent zählten unter anderem das Alter und eine genetische Prädisposition, die aber nicht zwangsläufig zu einer Demenzerkrankung führen müsse, „sowie weitere Aspekte, die jedoch zu einem Großteil noch nicht verstanden sind“, wie David García Méndez sagt. 

Einen großen Einfluss kann jeder selbst auf die 14 Risikofaktoren nehmen, die weitgehend mit dem eigenen Lebensstil zusammenhängen: Wie gesund ernährt sich ein Mensch, bewegt er sich genug, schläft er gut und ausreichend, lebt er isoliert oder hat er Familie und/oder einen Freundes- und Bekanntenkreis? Konkret gehören zu den 14 Risikofaktoren ein erhöhter Cholesterinwert, Diabetes, Bluthochdruck, starkes Übergewicht, Rauchen, Bewegungsmangel, Depressionen, eingeschränkte Seh- und Hörfähigkeit sowie Einsamkeit aufgrund sozialer Isolation. „Auch Menschen im mittleren Lebensalter, die vielleicht schon schlechter sehen oder hören, sollten sich rechtzeitig um eine gute Brille oder ein Hörgerät kümmern.“, empfiehlt der Projektleiter. Übermäßiger Alkoholkonsum wird ebenfalls als potenzielles Risiko genannt, wobei die WHO inzwischen sogar empfiehlt, ganz auf Alkohol zu verzichten. 

Demenzrisiko ist auch eine Frage des Lebensstils

Dass eine gesündere Lebensführung, Gehirntraining und mehr soziale Aktivität dem Abbau kognitiver Fähigkeiten bei Menschen mit erhöhtem Demenzrisiko erfolgreich entgegenwirken können, hat 2025 die Pointer-Studie der Alzheimer Association gezeigt. Sie bestätigte Ergebnisse einer großen Präventionsstudie in Finnland (FINGER-Studie), die sich mit der Prävention von Demenz durch Lebensstiländerungen befasste. 

„Unsere Patienten sind im Alter zwischen 55 und 90 Jahren, doch gerade die Jüngeren, auch schon ab 50 Jahren, möchten wir mit unserem niederschwelligen Angebot erreichen“, betont David García Méndez.  „Herr Bauer ist zwar ein fiktiver Patient“, sagt David García Méndez, „aber in diesem durchaus realistischen Beispiel trinkt er abends gerne eine Weinschorle. Und er weiß von seinen erhöhten Cholesterinwerten. Deshalb empfehlen wir ihm, dass sein Hausarzt mit ihm einmal alle 14 Risikofaktoren durchgeht. Wo ließe sich aktiv etwas verändern, um so besser vorzubeugen? Und der Hausarzt soll auch einen Blick auf weitere Blutwerte werfen: Liegt bei Christian Bauer vielleicht ein nicht erkannter Folsäure- oder ein Vitamin B12-Mangel vor oder aber auch eine Schilddrüsenunter- oder überfunktion? All das könnte ebenfalls kognitive Einbußen verursachen“, erklärt David García-Méndez. 

Umfassende Untersuchung mit offenem Ergebnis

„Wir schauen anhand der Anamnese, der Untersuchungsbefunde und dem, was die Angehörigen uns beschreiben, ob den Symptomen eine leichte kognitive Störung oder eine Demenz zugrunde liegen könnte“, erläutert der Projektleiter das Vorgehen bei den Hausbesuchen. „Uns ist es wichtig, dass die Menschen sich ernstgenommen fühlen.“ Viele seien erleichtert, ihre Ängste einmal mitteilen und zumindest für eine Zeit loslassen zu können. „Auf diesen ersten Termin folgen gegebenenfalls weitere Hausbesuche, bei denen wir die Betroffenen mit speziellen Testverfahren untersuchen und auch die Angehörigen befragen. Die Ergebnisse werden dannmit einem Facharzt in unserer Gedächtnisambulanz der Klinik für Gerontopsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Pfalzklinikum in Klingenmünster besprochen, der dann auch die Therapiemöglichkeiten erläutert.“, erklärt der Projektleiter. Wurde eine Demenz diagnostiziert und gibt es bereits Schwierigkeiten im Alltag, können auch Medikamente, insbesondere bei der Alzheimer-Erkrankung, das Fortschreiten zumindest verzögern. Darum kümmert sich das Team ebenso wie um pflegende Angehörige, wenn sich der Zustand eines Demenzkranken verschlechtert. 

Ein Medikament als Lösung?

Neue Hoffnungen verbinden sich mit der ersten kausalen Therapie bei der Alzheimer-Erkrankung, der Amyloid-Antikörper-Therapie. Mit dem Medikament Leqembi (Lecanemab) wurde im April 2025 in Europa der erste Wirkstoff zugelassen, der seit Anfang September auch in Deutschland verfügbar ist.  Das Medikament wirkt nur in einem frühen Stadium der Erkrankung wie der leichten kognitiven Störung und der leichten Demenz bei Alzheimer-Erkrankung. Es soll erstmals an die Ursache einer Alzheimerdemenz herangehen und Eiweißverbindungen im Gehirn, die sogenannten Amyloid-Plaques, abbauen, die zum Abbau von Nervenzellen und somit den kognitiven Einbußen führen. „Die Fachkliniken wie auch unsere Klinik für Gerontopsychiatrie bereiten sich darauf vor, dies verordnen zu können“, erläutert David García Méndez. Auch vor dem Hintergrund einer frühzeitigen Diagnostik kommt dem Angebot von Prävent+ daher eine besondere Bedeutung zu.

Prävent+ bald für alle? 

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Hr. Mendez
   Foto © Privat

Seit dem Start im November 2024 ist die Nachfrage hoch und zeige den großen Bedarf: „Schon jetzt begleiten wir mehr Menschen, als vorgesehen waren. Die Kosten dafür tragen die gesetzlichen und privaten Krankenkassen“, erläutert David García Méndez. Eine Aufnahmegrenze gibt es nicht, allerdings konzentriert sich das Team weitgehend auf das Einzugsgebiet des Pfalzklinikums" 

Wie geht es mit Prävent+ weiter? „Unser Projekt wird vom Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit Rheinland-Pfalz gefördert und von der Zentralen Forschungseinheit für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) der Universitätsmedizin Mainz wissenschaftlich evaluiert“, so der Projektleiter. Erweist sich Prävent+ nach Abschluss des Projekts 2027 als erfolgreich, soll es, so hoffen die Initiatoren, in die Regelversorgung übergehen. Damit dies bundesweit gelingen könnte, müssten auch andernorts Strukturen wie am Pfalzklinikum geschaffen werden. Schon jetzt erreichen David García Méndez und das Team von Prävent+ Anfragen von Kliniken aus Berlin und anderen Städten.

Lebensstil anpassen, Lage verbessern

Und Christian Bauer? Zwar ist das Beispiel nur fiktiv, aber so könnte es für ihn weitergehen: In weiteren Untersuchungen könnte sich zeigen, dass er tatsächlich an einer leichten Alzheimer-Demenz erkrankt ist. Er versucht nun, durch eine Umstellung seines Lebensstils und in Behandlung durch seine Ärzte, die Krankheit zu verlangsamen.  

Weitere Informationen

Der Kontakt zu Prävent+ ist telefonisch möglich und in Zukunft auch online. Alle Infos finden sich in diesem Flyer und auf der Internetseite von Prävent+.