Zuhause-Behandlung: An der Klinik für Gerontopsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Pfalzklinikums in Klingenmünster werden psychisch erkrankte Menschen zunehmend von zwei multiprofessionellen Teams betreut, die zu ihnen nach Hause kommen – auch ins Pflegeheim. Dr. Stefan Frisch, leitender Psychologe der Klinik, spricht über die Vorzüge dieses Angebots.

Herr Dr. Frisch, Sie haben in der Gerontopsychiatrie des Pfalzklinikums das erste von inzwischen zwei „Zuhause-Behandlung“-Teams aufgebaut. Was ist die „Zuhause-Behandlung“?
,Zuhause-Behandlung‘ wendet sich an Patientinnen und Patienten, die psychisch so schwer erkrankt sind, dass sie eigentlich stationär behandelt werden müssten. Lehnen sie dies aus verschiedensten Gründen ab oder halten wir eine Behandlung zuhause für sinnvoller, bieten wir ihnen das an. Das gilt auch für Menschen, die von Angehörigen gepflegt werden und die vielleicht zusätzlich Unterstützung durch eine 24-Stunden-Kraft haben. Oder wir suchen die Betreffenden im Pflegeheim auf, wenn sie dort leben. Da unsere zwei Teams zur Klinik für Gerontopsychiatrie in Klingenmünster gehören, behandeln sie vor allem ältere Menschen über 65 Jahre, die es oft umso mehr schätzen, ihr gewohntes Umfeld nicht verlassen zu müssen. Am Pfalzklinikum gibt es außerdem Zuhause-Behandlung-Teams in der Allgemein- und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Welche Erkrankungen behandeln Sie und Ihre Teams?
Keine Diagnose ist per se ausgeschlossen. Am ehesten noch eine Suchterkrankung, etwa Abhängigkeit von Schlafmitteln wie Benzodiazepinen oder von Alkohol. Manchmal steht zunächst ein Entzug in der Klinik an. Zudem können wir nicht überprüfen, ob die Betroffenen die Substanzen wirklich nicht mehr einnehmen. Dennoch gilt: Das muss je nach Einzelfall entschieden werden. Die häufigsten Erkrankungen sind aus den Bereichen der Demenzen und der Depressionen. Die beiden genannten Teams sind jeweils darauf spezialisiert.
Woraus besteht ein Team der Zuhause-Behandlung und wie oft kommt es zu den Patienten?
Die Teams sind multiprofessionell aufgestellt. Das bedeutet: Dazu gehören Pflegekräfte, Psychiater, Psychotherapeuten, Ergotherapeuten und Sozialarbeiter. Pflegende in der Psychiatrie haben weitreichende Kompetenzen, sie geben etwa Akupunkturbehandlungen zur Entspannung oder arbeiten bei Angsterkrankungen und Depressionen mit dem Psychotherapeuten zusammen. Ein Teammitglied mindestens schaut einmal in der Woche vorbei, bei Bedarf kommen mehrere und auch öfter. So können wir mehr Menschen gleichzeitig behandeln als beispielsweise in der Stationsäquivalenten Behandlung‘ (StäB), wo jeden Tag jemand aus dem Team vorbeikommen muss.
Welche Vorzüge bietet die Zuhause-Behandlung für die Patienten im Vergleich zu einer stationären Behandlung?
Wie schon gesagt müssen sie ihre gewohnte Umgebung nicht verlassen und können auch Pflichten wahrnehmen, etwa für ein Haustier zu sorgen. Schon das kann etwa bei einer Depression therapeutisch wirken. Ebenso, dass die Patienten zum „Gastgeber“ werden. Wer immer vom Team die Patienten aufsucht, bringt auch wirklich Zeit mit. Das kann eine Stunde, zwei Stunden oder in Ausnahmefällen auch mehr sein. Wir bemühen uns zudem, dass Patienten ihre Behandler behalten, auch, wenn sie zwischendurch vielleicht doch kurz stationär aufgenommen werden müssen. Diese Kontinuität wirkt sich positiv auf die Therapie aus. Der größte Vorteil aber besteht darin, dass wir die Patienten dort behandeln, wo sie ihren Alltag verbringen. So lassen sich häufig schnelle und dauerhafte Lösungen finden für Probleme, weil wir diese gezielter und nachhaltiger behandeln können.
Können Sie ein Beispiel geben für diesen pragmatischen Lösungsansatz?
Wir hatten einen Patienten, der wegen aggressiven Verhaltens im Pflegeheim immer wieder zu uns auf die Station kam. Als wir ihn in seinem Heim aufsuchten und mit ihm sprachen, zeigte sich, dass andere Patienten, die demenzkrank und verwirrt waren, immer wieder einfach sein Zimmer betraten. Er fühlte sich in seiner Privatsphäre gestört. Wir haben dann mit der Heimleitung besprochen, dass seine Tür von außen einen Knauf bekommt, den nur der Bewohner sowie das Pflegepersonal mit einem Schlüssel öffnen kann. Da der Mann in anderen Situationen, etwa wenn er bei uns auf Station war, keinerlei aggressives Verhalten zeigte, hatten wir auch keinen echten psychiatrischen Behandlungsauftrag. In einem anderen Fall wollte ein an Demenz erkrankter Bewohner sich nicht morgens um 7 Uhr waschen lassen. Unser Vorschlag war, es einfach zu einer späteren Zeit zu versuchen, und das hat geklappt. Nicht in jedem Heim ist das möglich, weil manchmal Ablaufpläne eingehalten werden müssen. Aber wir bemühen uns immer, die Bedürfnisse der Patienten zu erfahren und auf die individuelle Situation einzugehen. So vermeiden wir den „Drehtür-Effekt“, dass Patienten immer wieder in die Klinik kommen, denen wir letztlich gar nicht helfen können. Es ist nicht immer so einfach, aber es kann auch so einfach sein.
Wie sieht die Behandlung durch Ihr Team bei Depressionen aus?
Bei Depressionen besteht die Therapie zu einem wichtigen Teil daraus, dass die Patienten aktiv werden, wieder eine Tagesstruktur aufbauen, neue Kontakte knüpfen oder alte neu beleben – um sich über die Motivation, die das bringt, langsam aus der Depression herauszuarbeiten. Und das lässt sich am besten im Alltag umsetzen. Machen wir das in der Klinik, gehen die Leute hinterher nach Hause und wissen oft gar nicht, wie sie das in ihr Leben integrieren sollen. Auch Ängste lassen sich viel besser vor Ort behandeln. Eine Patientin hatte starke Ängste, verließ das Haus nicht mehr und war dadurch auch depressiv geworden. Anfangs ist sie mit dem Therapeuten erst in den Garten gegangen, dann zwischen den Terminen täglich allein. Dann kam ein kleiner Spaziergang dazu, dann einkaufen, erst mit ihrem Mann, dann alleine. Allmählich hat sie so gelernt, ihren Radius wieder zu erweitern und alte Aktivitäten wiederaufzunehmen, die sie vernachlässigt hatte. Eine andere Patientin traute sich nicht mehr in ihr Schlafzimmer, weil sie dort einen Herzinfarkt erlitten hatte. Vor Ort gelang es ihr mit unserer Hilfe schrittweise, erst gemeinsam das Zimmer zu betreten, dann allein, sich dann tagsüber dort aufzuhalten und später dort auch wieder zu schlafen.

Sie behandeln nicht nur die Menschen selbst, sondern auch das System, das sie umgibt, also etwa ihre Familie oder ihren Partner. Wie sieht das aus?
Gerade bei einer Depression oder Angsterkrankung gehören ungelöste Konflikte oft mit zu den Auslösern oder halten die Erkrankung aufrecht. Ich erinnere mich an einen Patienten, der regelmäßig stationär war. Als wir dann das erste Mal bei ihm zu Hause waren und mitbekamen, wie seine Frau ihn immer wieder entwertete, verstanden wir, wieso seine psychische Erkrankung so hartnäckig war. Wir haben die Partnerin in die Therapie mit einbezogen und ihm gezeigt, dass er sich auch abgrenzen kann. In der Klinik wäre das nicht möglich gewesen, vielleicht nicht einmal zur Sprache gekommen.
Zahlt die Krankenkasse für die Zuhause-Behandlung?
Ja, im Rahmen eines Modellvorhabens nach §64b SGB V am gesamten Pfalzklinikum. Solche Modellvorhaben gibt es in Deutschland derzeit etwa 20. Unseres läuft noch bis Ende 2027, wir bemühen uns bereits um eine Verlängerung. Ein zentrales Ziel ist es, die Versorgung so umzustellen, dass wir möglichst viele psychiatrische Behandlungen aufsuchend oder ambulant durchführen. In der Klinik haben wir die Zahl der Betten daher schon um ein Viertel abgebaut und nehmen Menschen nur stationär auf, wenn es gar nicht anders geht, etwa wenn sie sich selbst oder andere gefährden könnten. Trotzdem ist Zuhause-Behandlung kein Weg, um einfach nur Geld zu sparen, denn die Teams müssen auch ausgestattet und ausgebildet werden. In ihrer Arbeitsweise werden sie aber individueller und, so scheint es uns, effektiver. In der Geschichte hat die Psychiatrie erkrankte Menschen erst aus der Gesellschaft isoliert, nun gehen wir den umgekehrten Weg. Das freut mich.