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„Mentale Chancenungleichheit aufheben!“: Wie Frauen negative Glaubenssätze überwinden

„Führung ist nichts für mich“, „Ich bin eine Zumutung für andere“ oder „Ich muss perfekt sein“: Negative, meist unbewusste Glaubenssätze verhindern, dass mehr Frauen ihr berufliches Potenzial entfalten. Wie ihnen dies gelingen kann, wenn sie ihre eigenen negativen Überzeugungen erkennen und entmachten, schildert Dr. Silke Rusch in ihrem Buch „Women at Work“. Die promovierte Psychologin und Mutter von vier Kindern ist zudem Gastgeberin des Podcasts Psychologie@work und leitende Psychotherapeutin an der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Herborn.

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Frau Rusch
©thumbnail_S. Rusch Portrait_by Linda Wiegand

Frau Rusch, Sie sagen, Weltfrauentag, Frauen-Förderprogramme, Frauenquoten und Gleichberechtigungsoffensiven sind schön und gut, trotzdem bringen sie Frauen im Beruf nicht nachhaltig voran, solange diese negative Glaubenssätze haben. Solche inneren Überzeugungen hindern sie daran, ihre durchaus vorhandenen Chancen zu nutzen. Wie meinen Sie das?

In meiner Arbeit als klinische Psychologin sitze ich immer wieder erfolgreichen, wundervollen Frauen gegenüber, die am Ende ihrer körperlichen und seelischen Kräfte sind. Dabei ist mir irgendwann aufgefallen, was dazu führt. Alles, was die (meist von Männern geprägte) Politik für Frauen tut, mehr Kita-Plätze oder mehr faire Bezahlung, ändert letztlich nichts daran, dass Frauen ihr berufliches Potenzial nicht so entfalten können wie Männer. Der Grund dafür ist ihre Sozialisation, also die Art und Weise, wie sie aufwachsen und welche Überzeugungen sie dabei verinnerlichen. Diese meist negativen Glaubenssätze werden in der Regel überhaupt erst Thema, wenn Frauen mental erkranken, etwa an einer Depression, einem Burnout oder einer Angsterkrankung

Geben Sie bitte ein konkretes Beispiel, wie unterschiedlich die Sozialisation von Mädchen und Jungs aussieht.

Fast auf jedem Kinderspielplatz können Sie Folgendes beobachten: Steuert ein Mädchen ein Klettergerüst an, ruft die Mutter meist schon: ,Sei vorsichtig, nicht so hoch, nicht so schnell, pass auf, dass Du nicht runterfällst!‘ Ein Junge hingegen hört: ,Klasse, Du schaffst das, Du kommst ganz nach oben, du wirst der beste Kletterer sein!‘ Jungs erleben Ermutigungen, wenn sie sich vorwagen, Neues ausprobieren, Risiken eingehen. Mädchen hingegen werden eher zurückgerufen. Das ist eine psychologische Sanktionierung, die ihnen vermittelt: ,Das ist eine Nummer zu groß für Dich‘, ,Trau Dir nicht zu viel zu‘, ,Überlass das den Jungs‘. Oder: Wenn sich Jungs streiten, wird tendenziell länger abgewartet. Bei Mädchen gehen Erwachsene schnell dazwischen und fordern, sie sollten doch vernünftig und brav sein und so etwas tue ein Mädchen nicht. 

Was bedeutet ein solches Aufwachsen für das innere Selbstbild von Frauen, vor allem im Beruf?

Frauen können oft später Konflikte nicht so gut austragen. Sie zweifeln, ob sie für eine Führungsaufgabe geeignet sind, selbst, wenn sie ihnen angeboten wird und sie alle Voraussetzungen erfüllen. Männer nehmen sie wie selbstverständlich an, zumal es sie darin bestätigt, alles schaffen zu können – auch wenn sie dafür vielleicht ein bisschen blenden müssen. Die Gesellschaft wundert sich oft, dass Frauen, bildlich gesprochen, der rote Teppich ausgerollt wird, sie aber nicht drüber laufen. Das liegt meiner Ansicht nach eben an den mentalen Begrenzungen von Frauen, ich nenne das auch ,mentale Chancenungleichheit‘. Mein Buch will einen Beitrag dazu leisten, dass sich das ändert. Was mir dabei wichtig ist: Es geht nicht um Schuld, sondern um Erkenntnis und die Möglichkeit, dadurch selbst etwas zu verändern.

Sie nutzen dazu die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Wie geht sie vor?

Die KVT geht davon aus, dass unser Verhalten von unseren Gefühlen bestimmt ist, unsere Gefühle aber die Folge unserer Gedanken sind. Dazu gehören Glaubenssätze, die wir oft früh im Leben verinnerlichen und derer wir uns als Erwachsene häufig nicht bewusst sind. Sie werden zu Automatismen. Wenn ich überzeugt bin ,Fleiß und Geduld bringen mich ganz nach oben‘, komme ich damit gut durch die Schulzeit, (oft besser als die Jungs), aber später im Job führt das zu Aufgaben, die gerne delegiert werden und nicht karriereförderlich sind. Wer sich aber mit seiner Seele auseinandersetzt, die eigenen Gedankenmuster erkennt, ändert und damit autark steuert, gewinnt die Macht über das eigene (Berufs-)leben zurück. Das ist Selbstwirksamkeit. Deshalb möchte ich alle Frauen ermutigen: Auch wenn das, was Sie denken oder fühlen, noch so absurd erscheint – sehen Sie es sich genau an. Sie können nur gewinnen.

In Ihrem Buch „Women at Work“ greifen Sie in jeweils einem Kapitel 18 typische Glaubenssätze auf und erklären, wie Frauen damit arbeiten können, um sie zu verändern. Sätze wie ,Ich bin eine Rabenmutter‘, ,Macht ist böse‘, ,Ich muss es allein schaffen‘ oder ,Geld ist nicht mein Thema‘. Lassen Sie uns den letzten doch einmal näher anschauen.

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Frauen Gleichberechtigung
      Foto © Pexels 

Hat eine Frau den Glaubenssatz ,Geld ist nicht mein Thema‘, dann wird sie in Gehaltsverhandlungen nicht für eine faire Bezahlung einstehen, meist sogar zu wenig verlangen, und nicht einmal wissen, warum. Manchmal verbindet sich diese Überzeugung mit dem Glaubensatz ,Die ahnen gar nicht, wie inkompetent ich bin‘.  Eine solche Frau wird sich in Finanzdingen vielleicht nicht gut auskennen, auch, weil sie womöglich damit aufgewachsen ist, dass das ,Männersache‘ sei. Sie läuft Gefahr, zu den Frauen zu gehören, die von Altersarmut bedroht sind. Weil sie zu wenig über Finanzdinge weiß, führt das zu Unsicherheit, was wiederum Vermeidung hervorruft – anstatt sich damit zu befassen und kompetent zu werden. Dazu unter anderem rate ich Frauen deshalb auch diesem Kapitel.

Wie lautet Ihr persönlicher Glaubenssatz dazu? Kennen Sie das Thema selbst?

In der Form nicht. Meine Mutter war Bankangestellte, ebenso wie mein Onkel, bei uns wurde regelmäßig über Geld gesprochen, ganz anders als in den Familien meiner Freundinnen. Nebenberuflich trete ich aber auch als Rednerin auf. Und da merkte ich, dass ich anfangs viel zu niedrige Honorare veranschlagte, weil ich das ,doch gern mache‘. Es erschien mir regelrecht schäbig, viel Geld dafür zu verlangen. Dabei kommen die Anfragen dazu aufgrund meiner umfangreichen Ausbildung und Erfahrung als Psychologin. Ich selbst aber schätzte meine eigenen Leistungen als weniger wertvoll ein, weil mir die Arbeit Spaß macht. Hier konnte ich bei mir einen anderen Glaubenssatz enttarnen: ,Arbeit muss hart sein‘. Manchmal muss man genauer hinschauen, um herauszufiltern, welche negative Überzeugung einen antreibt und gleichzeitig behindert. Heute kann ich selbstbewusst ein angemessenes Honorar verlangen, auch für eine Tätigkeit, die mir leicht von der Hand geht. 

Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Leserinnen?

Frauen schreiben mir immer wieder, dass sie schon beim Lesen der Kapitelüberschriften 'geschockt' sind, weil sie an die Glaubenssätze ,überall einen Haken dranmachen‘ können. Bei Licht betrachtet werden es nur ein paar davon sein und nicht alle 18. Die lohnt es sich dann anzuschauen und damit zu arbeiten. Natürlich ist das ein Prozess, aber er wird nachhaltig sein und Veränderungen mit sich bringen.

Müsste oder sollte sich auch das Umfeld ändern? Also die Männer?

Dazu rege ich im letzten Kapitel ,Und nun?‘ mit Tipps an: Nicht-weibliche Leser könnten etwa Streitbarkeit bei Kolleginnen als positive Eigenschaft würdigen und nicht als ,kompliziert' deklarieren. Sie könnten Elternzeit nehmen und tatsächlich 50 Prozent der Care-Arbeit übernehmen, wie es das Paar mal vereinbart hatte. Als Führungskraft könnten sie von sich aus gerechte Löhne zahlen. So können nicht-weibliche Personen zu Unterstützern von Frauen werden, die umso mehr in ihre Kompetenzen hineinwachsen. In meinen beiden eigenen Teams bei der Arbeit achte ich selbst zum Beispiel darauf, dass ich bewusst auch männliche Kollegen anspreche, wenn es darum geht, für ein Geschenk zu sammeln oder einen Geburtstagskuchen zu backen. Zudem fördere ich talentierte junge Kolleginnen gezielt.