Angst verringern, muskuläre Verspannungen lösen, Migräne vorbeugen – ganz ohne Medikamente? Mit Biofeedback kann dies gelingen. In den Vitos Kliniken für Psychosomatik in Weilmünster und Herborn wird die Behandlungsmethode erfolgreich eingesetzt. Patientinnen und Patienten müssen dabei aktiv etwas tun, lernen dadurch aber auch, sich dauerhaft selbst zu helfen. Wie wirkt die Methode?
Wenn sich der Körper mit Schmerzen und Beschwerden meldet, wünschen sich viele, sich selbst helfen zu können. Tatsächlich gibt es dazu eine Möglichkeit: Das sogenannte Biofeedback. Es ist eine wissenschaftlich fundierte Methode, bei der Patientinnen und Patienten lernen, körperliche Funktionen wahrzunehmen und so zu beeinflussen, dass die Beschwerden abnehmen. Seit 2023 wird das Verfahren auch in der Vitos Klinik für Psychosomatik Weilmünster und der Vitos Klinik für Psychosomatik Herborn begleitend zur Verhaltenstherapie eingesetzt.
Was ist Biofeedback?
Biofeedback ließe sich auch übersetzen mit: „Rückmeldung des Körpers“. Im Alltag erleben wir das im Grunde ständig: Die Angst vorm Zahnarzt führt zu Magengrummeln. Die Aufregung vor einer Prüfung zu Appetitlosigkeit. Der Stress bei der Arbeit und das Gefühl, nicht alles rechtzeitig zu schaffen, lassen uns die Schultern vor dem Bildschirm hochziehen. Ein steifer Nacken ist die Folge.
In der Kognitiven Verhaltenstherapie ist bekannt, dass Gedanken zu Gefühlen führen und Gefühle zu einem Verhalten, das körperliche Reaktionen nach sich ziehen kann. Was unbewusst oft in eine Negativspirale führt, lässt sich – bewusst genutzt – auch umkehren. Positive Gedanken führen zu positiven Gefühlen und entspannen den Körper oder lindern sogar Schmerzen. Genau diesen Effekt macht Biofeedback sicht- und damit nutzbar.
Wie funktioniert Biofeedback?
Während einer Behandlung werden Sensoren am Körper der Patientinnen und Patienten befestigt: am Bauch, am Kopf oder etwa am Finger. Das jeweilige Gerät misst Werte wie die Körpertemperatur, den Puls, die Muskelspannung, die Atmung und den Hautleitwert. Alle diese Werte beziehen sich auf Körperfunktionen, die in der Regel unbewusst ablaufen. Indem man sie gezielt misst, verraten sie, was sich im Körper gerade tut. Die Messdaten wandelt ein Computer in Signale um und stellt sie als Linie, Ton oder Bild dar. So zeigt sich etwa ein erhöhter Hautleitwert – hervorgerufen durch eine verstärkte Aktivität der Schweißdrüsen, die wiederum auf innere Anspannung zurückzuführen ist. „Für viele Patientinnen und Patienten ist es überraschend zu sehen, wie schnell unser Körper reagiert, wenn man versucht, sich an ein schönes Ereignis zu erinnern“, berichtet Yvonne Schneider, Stationsleitung und Biofeedback-Therapeutin in der Vitos Klinik für Psychosomatik in Weilmünster. Der Hautleitwert geht runter. Genauso ist es aber auch, wenn man sich in eine belastende Situation zurückversetzt: Der Hautleitwert geht wieder rauf. So lernen die Behandelten: „Was man wahrnehmen kann, kann man auch verändern.“ Indem sie diesen Zusammenhang nutzen, können sie sich selbst helfen.
Wann hilft Biofeedback?
Die Methode lässt sich vielfältig einsetzen. Bei Angststörungen und stressbedingten Erkrankungen eignet sich besonders die Variante „Atembiofeedback“. Wer unter Ängsten oder unter zu viel Stress leidet, atmet meist zu flach und nur in den oberen Brustkorb. Das aktiviert übermäßig das sympathische Nervensystem, das uns – wie einst in der Steinzeit – kämpfen oder flüchten lassen will und noch mehr Stresshormone freisetzen lässt. Die tiefe Bauchatmung hingegen stimuliert das parasympathische Nervensystem, das für Ruhe, Entspannung und Loslassen sorgt. Denn tiefe Atemzüge, verbunden mit längerer Aus- als Einatmung, „massieren“ den Solarplexus, ein großes Nervengeflecht hinter dem Magen und eine Handbreit über dem Bauchnabel. Es ist ein wichtiger Teil des Parasympathikus.
„Mit verschiedenen Trainingsprogrammen lässt sich die für jeden Menschen ideale Atemkurve erstellen“, erklärt die Therapeutin: „Die Patientinnen und Patienten versuchen, sich daran anzupassen, wobei ein großer Vorteil ist, dass die Atmung zumeist bewusst kontrollierbar ist.“ Schon nach fünf Sitzungen ist es meist möglich, „therapeutisch günstig“ zu atmen, auch ohne an die Biofeedback-Geräte angeschlossen zu sein. Hilfreich dafür ist, die Hände beim Atmen auf den Bauch zu legen und zu spüren, wie sich die Bauchdecke beim Einatmen hebt und beim Ausatmen senkt. So lässt sich die Atmung auch im eigenen Alltag bewusst lenken und Stress im Körper reduzieren.
Mit Biofeedback neue Gewohnheiten einüben
Das Entscheidende: Die Patientinnen und Patienten haben erlebt, dass sie sich selbst entspannen können und den Beweis dafür auf dem Bildschirm gesehen. Und sie haben gespürt, wie es sich anfühlt, entspannt zu sein. Je öfter sie die Empfindung in sich wieder wachrufen und gezielt ansteuern, desto mehr kann das Gehirn alte Muster ersetzen. Das gilt auch für Schulternackenbeschwerden oder etwa Migräne. Patientinnen und Patienten mit einem Schulterschiefstand zum Beispiel üben mittels Biofeedback neue Bewegungsmuster, die entspannend wirken. Die Erinnerung an das gute Gefühl entspannterer Muskeln können sie oft nach zehn Sitzungen zu Hause wieder wachrufen. Bei der Therapie von Kopfschmerzen und zur Prävention von Migräne gilt Biofeedback inzwischen sogar als Alternative zu Medikamenten. Naht ein Anfall, weiten sich die Gefäße. Mittels Sensoren an der Schläfenarterie lernen Patientinnen und Patienten, wie sie vor allem dieses große Blutgefäß eng stellen können – allein durch die Kraft ihrer Vorstellung. „Die Anzahl von Migräneattacken oder auch deren Schwere lässt sich so vermindern“, sagt Yvonne Schneider.
Biofeedback ist keine passive Entspannungsmethode. Es handelt sich um ein aktives Konzentrationstraining, für das man sich Zeit nehmen muss. Regelmäßig und konsequent geübt, kann es aber unangenehme Gefühle wie Angst und körperliche Beschwerden bis hin zu Schmerzen nachweislich lindern. „Und das“, betont Yvonne Schneider, „ganz ohne Nebenwirkungen und Medikamente!“ Biofeedback hilft Patientinnen und Patienten, ihrem Schmerz zu begegnen und sich ihm gegenüber nicht länger hilflos zu fühlen.