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„Unser Telefoncoaching könnten viel mehr Menschen nutzen“

Starke Emotionen benennen und regulieren: Dazu verhilft die Dialektisch-Behavioriale Therapie (DBT) Menschen mit der emotional-instabilen (Borderline-) Persönlichkeitsstörung. Welche Fertigkeiten dabei vermittelt werden, schildert Privatdozent Dr. Johannes Hennings, Oberarzt der Borderline-Station am kbo-Isar-Amper-Klinikum in Haar bei München.

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Bild Herr Hennings
Johannes Hennings; Bild © kbo

Herr Dr. Hennings, Sie setzen zur Behandlung von Borderline DBT ein, die Dialektisch-Behaviorale Therapie. Was bedeutet das eigentlich?

Behavioral ist das englische Wort für Verhalten, es handelt sich also um eine Form von Verhaltenstherapie. Und dialektisch heißt, dass wir die Idee von einem ,Sowohl-Als-Auch‘ vermitteln. Zu den Symptomen der Borderline-Persönlichkeitsstörung gehört meist ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken: Menschen und Situationen werden extrem bewertet, sie sind entweder gut oder schlecht, richtig oder falsch. Genau das möchte der dialektische Ansatz aufheben, indem er den Fokus auf Achtsamkeit und Akzeptanz richtet. Dieser spirituelle Kern, der aus dem Zen-Buddhismus stammt, war Marsha Linehan besonders wichtig. Sie hat die DBT in den 1980er Jahren begründet. Mittlerweile handelt es sich um das weltweit führende Verfahren zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung.

 

Wie sieht denn die Therapie aus?

Im Wesentlichen handelt es sich um eine ambulante oder stationäre Einzel- und Gruppentherapie. Dabei erwerben die Teilnehmenden bestimmte “Skills“ oder Fertigkeiten, etwa das Erkennen und Regulieren von Emotionen wie Frust, Ärger, Wut, Traurigkeit oder Scham. Unsere Patientinnen und Patienten hatten aufgrund ihrer Lebensumstände kaum die Chance dazu, dies in der Kindheit zu erlernen. Sie erleben Gefühle oft besonders extrem. Zudem treten unterschiedliche Gefühle oft gleichzeitig auf, was zu widersprüchlichen Handlungsimpulsen führt: Wer wütend ist, möchte sich wehren oder angreifen, wer sich schämt, will sich verstecken, klein werden. So kommt es zu einer unerträglichen inneren Anspannung. Bevor man überhaupt in der Lage ist, Gefühle zu erkennen und zu regulieren, vermitteln wir daher oft zunächst, wie Betroffene aus diesem sogenannten Hochstressbereich herauskommen können.

 

Was ist der ,Hochstressbereich‘ genau?

Wir sprechen davon, wenn die Anspannung so groß wird, dass die Betroffenen nicht mehr in der Lage sind, klar zu denken oder etwas Funktionales zielgerichtet zu tun. In solchen Situationen reagieren die Betroffenen so heftig, dass Außenstehende kaum nachvollziehen können, warum die- oder derjenige so wütend wird, so kränkbar ist, so verletzende Dinge sagt oder tut. Diese Anspannungszustände stehen oft in Zusammenhang mit schwierigen Erlebnissen in der Kindheit, wie Grenzüberschreitungen oder vielen, vielen Frustrationen.

 

Und was hilft in solchen Situationen?

Um gegenzusteuern, können die Patienten und Patientinnen etwa erst einmal starke körperliche Reize einsetzen: ein Gummiband am Handgelenk schnalzen lassen, in eine Chilischote beißen oder ein besonders saures Bonbon lutschen. Auch starke Düfte wie Pfefferminz oder Eukalyptus können helfen, wieder in das Hier-und-Jetzt zurückzukommen. Damit ist es aber nicht getan. Sobald die Anspannung etwas abgenommen hat, geht es darum, situationsabhängig zwischenmenschliche Fertigkeiten, Gefühlsregulation oder Akzeptanz-fördernde Strategien einzusetzen.

 

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Brot und Gemüse
Bild © Pexels

Können Sie ein Beispiel schildern?

Eine Patientin ist am Wochenende zuhause. Sie hat ein schwieriges Gespräch mit ihrer Mutter und gerät dabei in starke Anspannung und Selbstverletzungsdruck. Mit etwas Übung hat sie schon gelernt, einen ,Zeitpuffer‘ einzubauen und zu ihrer Mutter zu sagen: ,Mama, ich bin grad super angespannt, ich brauch mal fünf Minuten. Ich kann so gerade nicht weiter mit dir sprechen und gehe jetzt erstmal um den Block.‘ Sie geht also aus der Situation heraus und kann in dieser Zeit andere Skills einsetzen, um die innere Anspannung weiter zu mindern.

Sie bieten dazu auch ein Telefoncoaching an. Wie sieht das aus?

Angenommen, das Gespräch ist nicht gut verlaufen. Ruft die Patientin dann ihr vereinbartes Telefoncoaching an, wird sie dazu angeleitet, aus der emotionalen Krise selbst herauszukommen: ,Wie hoch ist die Anspannung? Welche Fertigkeiten aus der Therapie haben Sie schon eingesetzt? Haben Sie schon herausgefunden, welche Gefühle gerade da sind?‘ Je nach Situation werden dann weitere ,Skills‘ verabredet, die die Patientin nutzen kann. Allein, die eigenen Gefühle in solchen Situationen zu erkennen und unterscheiden zu können, bringt die Anspannung schon ein Stück weit runter. Diese Zusammenhänge sind für viele Neuland, übrigens nicht nur für Menschen mit Borderline. 

 

Wie erfolgreich sind Sie damit?

DBT als solche ist die Therapieform, deren Wirksamkeit am meisten durch Studien belegt ist. Trotzdem ist es ein langer Prozess. Auch eine üblicherweise dreimonatige stationäre Therapie reicht meist nicht aus, um dauerhaft aus der Not herauszukommen. Eine ambulante störungsspezifische Anschlussbehandlung ist sehr wichtig. Zusätzlich kann auch eine erneute stationäre Behandlung im Intervall hilfreich sein, insbesondere, wenn ambulante Möglichkeiten nicht verfügbar sind. Tiefgreifende seelische Verletzungen lassen sich nicht wegzaubern. Das eigene Erleben verändert sich nur dadurch, neue Verhaltensweisen immer und immer wieder anzuwenden und dadurch sogenannte korrigierende Erfahrungen zu machen. Nur so entsteht das, was wir Selbstwirksamkeitserfahrung nennen, eine wichtige Grundlage für ein stabileres Selbstbewusstsein. Hierfür ist gerade das Telefoncoaching sehr effektiv. Leider melden sich viele, die in der Therapie die Möglichkeit dazu hätten, nicht, weil sie sich schämen.

 

Ihre Borderline-Station ist als ,DBT-Behandlungseinheit‘ zertifiziert. Was unterscheidet Sie dadurch von anderen Kliniken?

In erster Linie geht es dabei – neben den Therapieinhalten – um die Qualifikation des Teams: Bei uns sind alle Teammitglieder wie Ärztinnen, Psychologen, Pflegerinnen, Sozialpädagogen, Ergo- und Sporttherapeutinnen in der DBT geschult, einige sogar durch den Dachverband als DBT-Therapeuten und -Therapeutinnen zertifiziert, und bilden sich regelmäßig fort. Das ist wichtig, weil die Schwierigkeiten der Patientinnen und Patienten in unterschiedlichen Situationen im Alltag auftreten. Wir möchten daher einerseits in jedem Bereich das Gefühl vermitteln, dass wir die Not der Betroffenen sehen. Andererseits wollen wir aber auch ein Modell für einen funktionalen Umgang mit schwierigen Gefühlen an die Hand geben. Zur DBT gehört übrigens auch, ehemalige Betroffene in die Therapie mit einzubeziehen, etwa als ,Ex-In-Genesungsbegleiter‘. Es gibt hilfreiche Internetforen (siehe Infokasten), auf denen sich Betroffene und ehemalige Patienten miteinander austauschen. Und über einen Austausch auf Augenhöhe im Borderline-Trialog können Behandler und Behandlerinnen, Betroffene und Angehörige sehr viel darüber erfahren, wie sich die Perspektive des jeweils anderen anfühlt. Das ist ein wichtiger Grundstein für einen besseren Umgang miteinander.

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