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Safewards: Miteinander statt gegeneinander in der Akutpsychiatrie

„Safewards“ ist ein noch junges Konzept, das in der Akutpsychiatrie Konflikte und Zwangsmaßnahmen reduzieren oder sogar verhindern helfen soll. Viele Kliniken haben es bereits eingeführt. Zu den ersten Trainerinnen bei den Kliniken des Bezirks Oberbayern gehörte Jessy Mielke, Stationsleitung am kbo-Isar-Amper-Klinikum in Haar bei München. Sie berichtet im Interview, wie sich der Alltag für Patientinnen und Patienten und Behandlungsteams positiv verändert hat.

Frau Mielke, Sie bilden Kollegen und Kolleginnen in Safewards aus. Wie erklären Sie die Methode?

Safewards ist ein evidenzbasiertes Modell aus England, das für akutpsychiatrische Stationen entwickelt worden ist. Es soll Krisenherde und Eskalationen wie Gewalt, Selbst- und Fremdgefährdung, Verletzungen von Mitarbeitenden und Zwangsmaßnahmen wie Isolation und Fixierung verhindern oder zumindest verringern. Im Kern geht es darum, eine Beziehung zu Patientinnen und Patienten aufzubauen, durch die Vertrauen entsteht und eine Zusammenarbeit möglich ist. 

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Jessica Mielke
      Jessica Mielke Copyright privat

Warum ist das gerade in der Akutpsychiatrie wichtig?

Viele Patientinnen und Patienten kommen gegen ihren Willen zu uns in die Klinik. In der Regel, weil sie aufgrund einer psychischen Erkrankung wie einer Psychose, einer schizophrenen Störung oder einer Bipolaren Störung sich selbst oder andere gefährden. Oft werden sie zwangseingewiesen, von der Polizei gebracht, und ein Richter entscheidet, dass sie sechs oder acht Wochen bleiben. Sie sind hier, wollen aber gar nicht hier sein. Hinzu kommt, dass diese Menschen aus ihrem Alltag gerissen werden, was ebenfalls wütend, aggressiv und hilflos machen kann. Dann können selbst kleinste Wünsche ein Konfliktthema sein: ,Ich würde jetzt gerne eine Cola trinken, ich brauche abends meinen Kaffee, ich will eine Zigarette rauchen. Ich habe meinen Hund, meine Katze nicht versorgt. Ich muss dringend eine Überweisung machen…‘ Wenn man das nicht insgesamt betrachtet, kann daraus ein großer Krisenherd entstehen.

Vor Safewards war das so?

Genau. Die Situationen sind oft eskaliert, weil wir viel eher gesagt haben: ,Das geht nicht, wir sind keine Bank, wir haben keine Zeit, wir haben nicht genug Personal dafür, dafür müssen Sie Ihre Angehörigen anrufen.‘  Und jetzt versuchen wir auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten einzugehen, zuzuhören und aktiv zu werden. Wir stellen uns viel mehr hinter sie. Eine Zigarette kann manchmal mehr wert sein als eine Bedarfsmedikation. Viele Patientinnen und Patienten sind regelrecht überrascht, wie ,nett‘ wir sind und bedanken sich bei uns, weil wir ihnen sehr geholfen hätten. Die Therapie gelingt auf dieser Basis auch viel besser, und es gibt weniger Widerstand dagegen, Medikamente einzunehmen. Wir arbeiten mehr mit- statt gegeneinander. Auch die Zahlen geben uns Recht: Wir müssen weniger oft Menschen fixieren oder isolieren. Und wenn doch, dann deutlich kürzer.

Das klingt mehr nach einer Beziehung auf Augenhöhe.

Früher haben wir über die Patientinnen und Patienten bestimmt, heute ist der Grad ihrer Selbstbestimmung viel größer und wir bemühen uns, einen gemeinsamen Weg zu finden. Um es klar zu sagen: Nicht jede Intervention ist erfolgreich. Es gibt Situationen, in denen wir Stopps setzen müssen, weil uns Patientinnen oder Patienten angreifen oder mit Gegenständen werfen. Aber wir können insgesamt viel besser deeskalieren und eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen.

Wie genau trägt Safewards dazu bei?

Im Safewards-Konzept wurden zehn sogenannte Interventionen oder Vorgehensweisen entwickelt: gegenseitige Erwartungen klären, verständnisvolle Kommunikation, deeskalierende Kommunikation, positive Kommunikation, Unterstützung bei unerfreulichen Nachrichten, gegenseitiges Kennenlernen und eine gemeinsame Unterstützerkonferenz, an der Ärztinnen, Therapeuten, Pflegerinnen und Patienten teilnehmen. Weiterhin noch Methoden zur Beruhigung abseits von Medikamenten, Sicherheit geben und das Schreiben einer Nachricht für neue Patientinnen und Patienten am Tag der eigenen Entlassung.

Welche Interventionen sind die wichtigsten für Sie?

Das Wichtigste sind die kommunikativen Aspekte. Ein Beispiel zur positiven Kommunikation: Wir sollen täglich etwas Positives über die Patientin oder den Patienten aufschreiben. Diese Bögen geben wir der betreffenden Person auch, meist kurz vor der Entlassung. Da steht etwa: Positiv fanden wir an Ihnen, dass Sie uns jeden Morgen angelächelt haben, im Garten geholfen oder für eine Person auf Station, die keinen Ausgang hatte, Zigaretten mitgebracht haben. Hat jemand ein Tief, geben wir es ihm oder ihr auch schon früher, das muntert auf und erstaunt sie: Viele beleidigen uns, zumindest am Anfang, und trotzdem finden wir Gutes an ihnen. Uns als Team aus Ärzten, Therapeutinnen und Pflegenden hilft das zugleich, nicht nur die Defizite dieser Menschen zu sehen, was häufig im Vordergrund steht. Sondern auch ihre Ressourcen und Fähigkeiten.

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Zusammen
© pixabay

Was war das Schwerste für die Kolleginnen und Kollegen?

Verständnisvolle Kommunikation. Durch kleine Botschaften in einem Kalender bekommt das Team täglich Impulse dazu. Da steht zum Beispiel: ,Dein erster Impuls sollte nicht immer ein Nein sein.‘ Das ist sehr interessant, denn auch nach einigen Jahren mit Safewards merken wir, wie schnell wir Nein sagen. Zu dem Wunsch nach einer Zigarette oder wenn jemand fragt: ,Frau Mielke, haben Sie kurz Zeit?‘ Statt schnell zu sagen: ,Nein jetzt grad nicht‘, wäre es besser zu antworten: ,In fünf Minuten, können Sie das kurz abwarten?“ Also sich zu erklären. Wir sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben diesen Kalender für alle sichtbar auf der Station an den Tresen gehängt. Als dort eine Kollegin mit einem Patienten sprach und zu einer Bitte sofort ,nein‘ sagte, hat er die Kollegin auf die Tagesbotschaft hingewiesen. So lebt das Modell und die Kolleginnen und Kollegen lernen, sich zu reflektieren und es beim nächsten Mal anders zu machen. 

Das Reflektieren hat es schwierig gemacht?

Absolut. Wir haben auch eingeführt, uns ebenfalls untereinander mitzuteilen, was in einer bestimmten Situation nicht gut gelaufen ist. Erst konnte man sich gegenseitig anonym Karten schreiben, dann haben wir begonnen, es einander zu sagen. Das war ein langwieriger Prozess und diese Offenheit hat nicht jedem gefallen. Das ein oder andere Teammitglied hat uns deshalb verlassen. Wir praktizieren Safewards inzwischen seit fünf Jahren, sind damit gewachsen und stolz darauf, wie stark sich unsere Haltung den Patientinnen und Patienten gegenüber geändert hat und wie anders wir heute mit ihnen umgehen.

Sie waren vor fünf Jahren eine der Ersten in den Kliniken des Bezirks Oberbayern, die Safewards eingeführt hat. Wie kam es dazu?

Für die Weiterbildung zur Stationsleitung brauchte ich 2015 ein Projekt und habe mich für Safewards entschieden. Damals war das Konzept gerade erst ins Deutsche übersetzt worden. 2019 habe ich dann zwei neue Akuteinheiten in Haar übernommen und Safewards erfolgreich implementiert. Als Trainerin bilde ich bei uns Kolleginnen und Kollegen darin aus. In Workshops heißt es immer: ,Das ist so aufwändig, dafür haben wir keine Zeit.‘ Dabei kostet es viel mehr Zeit, Konflikte, die eskaliert sind, wieder zu lösen. 

Eignet sich Safewards auch für andere Stationen?

Auf jeden Fall. Inzwischen gibt es viele Stationen bei uns, die Safewards einsetzen, viele hausinterne Trainerinnen und Trainer und auch Supervisionen. Denn es reicht nicht, Safewards einzuführen. Damit es wirklich lebendig wird, braucht es viel Zeit, Geduld und den Willen, an seiner eigenen Haltung zu arbeiten. Nur wenn Stationen es zu ihrem Konzept machen, kann Safewards erfolgreich sein.