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„Riskanter Konsum beginnt bei einem halben Liter Bier täglich“

Das eigene Trinkverhalten ändern, ehe es zur Sucht wird: „Frühintervention Alkohol“ (FrIntA) nennt sich ein deutschlandweit einzigartiges ambulantes Programm an der LWL-Klinik Dortmund. Arne Lueg ist Chefarzt der Abteilung Suchtmedizin, in der das Programm durchgeführt wird. Im Interview spricht er über weitverbreitete Scham, hilfreiche Rollenspiele und Alkoholmythen.

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Blog Frühintervention Alkohol
Arne Lueg © LWL


Herr Lueg, für wen ist das Programm „Frühintervention Alkohol“ gedacht?

FrIntA, wie wir das Programm kurz nennen, wendet sich an Menschen, die das Gefühl haben, zu viel zu trinken, dies vielleicht auch von ihrer Umgebung gesagt bekommen oder die etwa auch schon mal alkoholisiert Auto gefahren sind. Sie sind noch nicht alkoholabhängig, aber haben einen sogenannten riskanten Konsum, der langfristig in die Sucht führen könnte. Wir möchten den Menschen helfen, dies zu verhindern. Also Prävention zu einem Zeitpunkt, wo dies noch möglich ist.

 


Was bedeutet „riskanter Konsum“?

Damit ist gemeint, dass jemand regelmäßig Alkohol trinkt und dabei mehr als 20 Gramm am Tag zu sich nimmt. Das ist nicht viel – diese Menge entspricht einem halben Liter Bier. Das gilt auch, wenn jemand nur am Wochenende trinkt, dabei aber hochgerechnet auf die gleiche Menge kommt. Ebenso, wenn jemand auf diese Weise versucht, die eigene Stimmungslage zu verbessern, etwa, weil er Stress im Job hat oder um einen verstorbenen Ehepartner trauert. Zu riskantem Konsum gehört zudem, wenn jemand zu viel trinkt, dessen Eltern alkoholsüchtig sind oder waren. Statistisch gesehen besteht dann ein zu 50 Prozent höheres Risiko, selbst suchtkrank zu werden.


Wie weit ist der Weg von riskantem Konsum bis zur Sucht?

Das zieht sich in der Regel über Jahre hin, wo dann aber schon irreparable gesundheitliche Schäden auftreten können. Um eine Sucht zu diagnostizieren, müssen drei von sechs Kriterien für einen Zeitraum von einem Jahr erfüllt sein. Eines davon ist „schädlicher Gebrauch“ – und riskanter Konsum kann schleichend dazu übergehen. Das bedeutet, jemand weiß, dass er wegen seines Alkoholkonsums schlechte Leberwerte hat. Oder vielleicht auch den Job oder die Ehe gefährdet. Ein anderes Kriterium ist Kontrollverlust. Einer unserer Teilnehmer am FrIntA-Programm war Leistungssportler und schaffte es nicht wie seine Mannschaftskollegen, bei Feiern nur mäßig zu trinken. Seine Frau erteilte ihm für solche Abende Hausverbot. Da erst merkte er, dass er was tun muss und kam zu uns.

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Selbsttest Alkoholkonsum

Fragen Sie sich, ob sich Ihr Trinkverhalten noch in einem verträglichen Rahmen bewegt oder Sie schon an der Schwelle zu einem riskanten Konsum oder gar einer Suchterkrankung stehen?


Kommen auch Patienten zu Ihnen, die bereits alkoholsüchtig sind?

Das sind sogar einige. In der Regel sind sie sich nicht im Klaren, dass sie alkoholkrank sind. Manche entscheiden sich dann für einen stationären Aufenthalt in unserer Klinik und einen Entzug. Ohne FrIntA wären sie vielleicht nicht zu uns gekommen, da Alkoholismus immer noch sehr schambesetzt ist.


Wie zeigt sich das?

Viele kommen von weiter her, weil sie sagen, dass niemand mitbekommen soll, dass sie unser ambulantes Programm absolvieren. Alkohol ist in unserer Gesellschaft ein akzeptiertes Genussmittel und nahezu überall verfügbar. Viele in ihrem Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis trinken zu viel, aber scheinbar haben nur sie haben ein Problem.


Sie bieten ein Programm mit sechs Modulen an. Was lernen die Teilnehmenden dort?

Ein multiprofessionelles Team aus Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern kümmert sich um die Teilnehmenden. Neben medizinischen Untersuchungen gibt es über einen Zeitraum von bis zu 15 Wochen sechs Therapiestunden, entweder einzeln oder in der Gruppe. Die Patientinnen und Patienten führen ein Trinktagebuch, um sich bewusst zu werden, in welchen Situationen sie trinken und wieviel. In Rollenspielen wird geübt, auf einer Party oder auch in einer beruflichen Situation Nein zu sagen, wenn einem Alkohol angeboten wird. Eigene Ressourcen werden aktiviert und individuelle Strategien entwickelt, um den Alkoholkonsum zu reduzieren. Denn es geht nicht in erster Linie um Abstinenz. Das kann natürlich ein Ziel sein, aber wir möchten vor allem auch Menschen unterstützen, die Alkohol nur gelegentlich genießen möchten und nicht, um unangenehme Gefühle zu betäuben.


Was machen Sie in der Psychoedukation?

Hier erklären wir, warum Alkohol so verführerisch ist. Denn tatsächlich verschafft er einem ja zunächst ein größeres Wohlbefinden. Im Grunde wirkt er wie ein Antidepressivum, weil Moleküle des Alkohols im Gehirn an Rezeptoren andocken, die für die Ausschüttung von Glückshormonen wie Dopamin zuständig sind. Und wir räumen mit „Alkoholmythen“ auf. Dazu gehört, dass ein Glas Rotwein wegen der enthaltenen Polyphenole sogar gesund sei für das Herzkreislaufsystem. Das ist leider nicht der Fall. Inzwischen ist gut belegt, dass Alkohol ein Zellgift ist, das selbst in kleinsten Mengen krebserregend sein kann. Deswegen lautet der aktuelle Stand der Medizin auch, am besten gar keinen Alkohol zu trinken, egal ob Mann oder Frau. Früher hat man hier noch Mengen unterschieden. Aber auch das ist überholt.


Wer kommt zu Ihnen?

Das sind vor allem Frauen ab Mitte 50, aber auch Männer. Stationär ist es eher umgekehrt. Es mag daran liegen, dass Frauen grundsätzlich eher zum Arzt oder zur Ärztin gehen und es Männern, ganz besonders jungen Männern, schwerer fällt, sich zu melden. Eine mögliche Alkoholproblematik wird in der Bevölkerung immer noch als „Schwäche“ angesehen. Viele bewerten ihr eigenes Trinkverhalten daher so und verdrängen es lieber, als etwas zu unternehmen.


Wie ist das Feedback Ihrer Patientinnen und Patienten?

Bisher haben mehr als 90 Menschen an FrIntA teilgenommen. Schon nach dem Erstgespräch sind viele sehr erleichtert, weil sie endlich den Mut hatten, dieses Thema anzugehen und bei uns auf Expertinnen und Experten zu treffen, die sie verstehen. Nach drei Monaten gibt es einen Follow-Up-Termin. Die allermeisten bestätigen uns, dass sie ihr Verhalten erfolgreich verändern konnten und ihren Alkoholkonsum reduziert haben oder sie gar nicht mehr trinken. Alle ‚Ehemaligen‘ haben jederzeit die Möglichkeit, bei uns ambulant an einer Gruppe teilzunehmen. Außerdem unterstützen wir schon während des Programms mit Infos zu Selbsthilfegruppen und zum Suchthilfesystem in Städten und Gemeinden. FrIntA ist zwar Teil einer Studie zur Frühintervention bei problematischem Alkoholkonsum, soll aber auch fortgesetzt werden, wenn diese abgeschlossen ist. Interessenten können sich jederzeit bewerben

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