Am Vitos Klinikum Hochtaunus gibt es eine türkischsprachige Angehörigengruppe, die dabei hilft, sprachliche Hürden zu überwinden und kulturelle Unterschiede zu erkennen. Erfahren Sie hier, wie das funktioniert – und wie das Klinikum auch Mitarbeitende sensibilisiert.
Für viele Menschen mit Migrationsgeschichte ist der Weg zu einer geeigneten psychiatrischen Behandlung mit Hürden verbunden. Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten und kulturelle Unterschiede erschweren nicht nur den Zugang zu Hilfsangeboten, sondern können auch dazu führen, dass Symptome missverstanden oder fehldiagnostiziert werden. Deshalb hat das Vitos Klinikum Hochtaunus in Bad Homburg eine türkischsprachige Angehörigengruppe ins Leben gerufen – ein Angebot, das Patientinnen und Patienten wie auch ihren Familien den Austausch erleichtern und Verständnis fördern soll.
Gemeinsam Verständnis für die psychische Erkrankung schaffen
Das Angebot richtet sich an Angehörige von Patienten und Patientinnen der Klinik, die aus dem türkischen Sprachraum kommen. In vielen dieser Familien spielt der familiäre Zusammenhalt eine zentrale Rolle, Entscheidungen über Therapien werden oft gemeinsam getroffen. Gerade deshalb ist es wichtig, auch jenen eine Stimme zu geben, die sich im deutschen Gesundheitssystem noch nicht sicher bewegen oder die Sprache noch nicht vollständig beherrschen. Die Gruppe bietet ihnen Raum, Fragen zu stellen, mehr zu erfahren und sich gegenseitig zu unterstützen.
In den regelmäßigen Treffen werden zentrale Themen rund um psychische Erkrankungen besprochen: Symptome, mögliche Ursachen und Verläufe der Erkrankung sowie Therapieformen. Ziel ist es auch, ein besseres Verständnis dafür zu schaffen, welche Verhaltensweisen Teil der Erkrankung sind – und welche den Charakter und die Persönlichkeit eines Menschen ausmachen. Der Austausch eröffnet dabei auch Einblicke in unterschiedliche kulturelle Sichtweisen auf seelische Gesundheit und Krankheit.
Durchblick im deutschen Gesundheitssystem ermöglichen
Besprochen wird auch, welche Möglichkeiten das deutsche Gesundheitssystem bietet – von ambulanter Therapie bis zu stationärer Behandlung – und was von der Krankenkasse bezahlt wird. Da viele Betroffene die Strukturen hierzulande nur teilweise kennen, suchen sie im Herkunftsland zusätzlich medizinischen Rat. Das ist verständlich, zeigt aber auch, wie groß der Informationsbedarf ist. Die Angehörigengruppe soll helfen, diesen zu decken und Orientierung zu schaffen.
Für gute Beziehungen: Behandler und Behandlerinnen sensibilisieren
Im Klinikalltag zeigt sich, wie anspruchsvoll kultursensible Psychiatrie sein kann. Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Behandlerinnen und Patienten ist zentral, doch Sprachbarrieren erschweren diesen Prozess erheblich. Hinzu kommt, dass kulturelle Unterschiede zu Missverständnissen führen können – auf beiden Seiten.
Auch medizinisches Personal muss sich immer wieder selbst reflektieren, um unbewusste Vorurteile zu vermeiden. In manchen Fällen werden Menschen mit Migrationsgeschichte aus dem südeuropäischen Kulturkreis noch immer als empfindlich oder übertrieben wahrgenommen. Solche Zuschreibungen – teils scherzhaft als „Morbus Bosporus“ oder „Morbus Mediterraneus“ bezeichnet – können dazu führen, dass Beschwerden nicht ernst genommen oder falsche Schlüsse gezogen werden. Das kann auch sprachliche Ursachen haben: So gibt es im Türkischen blumige Begriffe für Gefühle, die in der wörtlichen Übersetzung für deutsche Ohren manchmal übertrieben klingen. Nur wer sich dessen bewusst ist, kann Aussagen richtig einordnen. Besonders in der Psychiatrie, wo Diagnosen stark auf der Beschreibung subjektiver Empfindungen beruhen, ist das wichtig.
Austausch unter Mitarbeitenden ermöglichen
Neben der Angehörigengruppe hat das Klinikum weitere Strukturen geschaffen, um kulturelle Vielfalt aktiv in den Klinikalltag einzubinden. Ein eigener Arbeitskreis Migration entwickelt Maßnahmen, die Mitarbeitende für interkulturelle Fragestellungen sensibilisieren.
Bei sogenannten „kultursensiblen Treffen“ können Teams über ihre Erfahrungen, Unsicherheiten und auch über Mikroaggressionen sprechen. Ergänzt wird das Angebot durch Fortbildungen zur interkulturellen Psychiatrie. Hinzu kommt, dass immer mehr Fachkräfte mit eigener Migrationserfahrung in der Klinik tätig sind – Menschen, die das Thema Vielfalt nicht nur theoretisch kennen, sondern täglich leben.
So entsteht Schritt für Schritt eine Behandlungsatmosphäre, in der kulturelle Unterschiede nicht als Hindernis, sondern als Bereicherung verstanden werden und Hürden abgebaut werden. Die türkischsprachige Angehörigengruppe ist dabei nur ein Mosaikstein – aber einer, der zeigt, dass gelebte Offenheit und gegenseitiges Verständnis entscheidend sind, um allen Patientinnen und Patienten eine gleichwertige, respektvolle und wirksame Behandlung zu ermöglichen.