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„Oft hat die Frau das Gehirn der ganzen Familie“

 

Haushalt, Kinder, Pflege der Eltern: Die Psychologin Patricia Cammarata hat ein Buch über die Mehrfachbelastung in Familien geschrieben – die meist Frauen tragen. Burnout und Depression können die Folge sein. In diesem Interview erklärt die Autorin von Raus aus der Mental Load-Falle, wie sich die Arbeit in der Familie besser aufteilen lässt.

Patricia Cammarata, was ist für Sie Mental Load?

Ich definiere das als die geistige und emotionale Last, die meist von einer Person in der Familie getragen wird, damit der Alltag für alle Familienmitglieder funktioniert: In der Regel ist das die Frau. Das gilt auch unabhängig davon, wieviel die Frau arbeitet und sogar, wenn sie die Hauptverdienerin ist. Zu Mental Load gehört die gesamte Beziehungspflege und das Auffangen von persönlichen Bedürfnissen und Befindlichkeiten aller Beteiligter. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von ,Care-Arbeit‘. Es wird häufig übersehen, wie belastend es sein kann, dafür hauptsächlich verantwortlich zu sein.

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Mental Load
Foto: Copyright Sophie Weise-Meißner

Wie kommt es überhaupt dazu?

In unserer Gesellschaft entspricht das der klassischen Rollenverteilung, sodass viele Frauen sich ganz selbstverständlich mit diesen Aufgaben identifizieren. Besonders hübsch angezogene, glückliche, gesunde Kinder zu haben und eine schöne, aufgeräumte Wohnung, das wird immer eher den Müttern zugeschrieben. Das lernt man von klein auf – und gilt heute als ,instagrammable‘. Daher finden wir es wahrscheinlich alle ganz normal, dass Frauen in diesem Bereich viel mehr leisten. Zahlen zum Gender-Care-Gap zeigen, dass Frauen 52% mehr machen als die Männer. Gibt es Kinder im Haushalt sind es 83% mehr, und ist eine Frau 35 Jahre alt und hat zwei Kinder, ist die Frau bei durchschnittlich 110% mehr. Wären solche Zahlen Allgemeinwissen, dann würde es niemandem so spät auffallen, dass es so nicht funktionieren kann.

Woran merkt man, dass es längst zu viel ist, und welche gesundheitlichen Risiken sind damit verbunden?

Man kommt gar nicht mehr zur Ruhe. Man hat keinen Spaß mehr an Aktivitäten, die einem früher Freude gemacht haben. Man sagt Verabredungen ab und verliert allgemein seine Leichtigkeit, weil es keine Energiepuffer mehr gibt. Das fühlt sich für einen selbst wie ein ganz fragiles Kartenhaus an, und man reagiert sehr empfindlich, wenn noch irgendwo eine Karte herausgezogen wird. Zumal es meist keine Wertschätzung dafür gibt, was alles geleistet wird. Es bleibt unsichtbar. Daher ist es wichtig, die Symptome ernst zu nehmen und nicht als kleines Organisationsproblem abzutun. Denn all das ist der klassische Weg in den Burnout oder womöglich auch in eine depressive Störung. Allein die Tatsache, dass wir Müttergenesungswerke und Mutter-Kind-Kuren haben und brauchen, ist gut, aber auch traurig.

Um gegenzusteuern oder gar nicht erst in die Mental Load-Falle zu geraten: Was kann helfen?

Prävention ist das Allerwichtigste: Reden Sie frühzeitig miteinander und nicht erst, wenn sich vieles aufgestaut hat oder in einer akuten Situation, wenn man sich über den Partner ärgert, weil er etwas vergessen hat. Am besten ist es, in einem ruhigen Moment das Thema anzusprechen und mit Ich-Botschaften zu arbeiten. Also nicht gleich Vorwürfe zu machen. Im Buch steht ja auch der schöne Satz von dem Paartherapeuten Oskar Holzberg, ,Wenn aus Überforderung Forderung wird‘. Das bringt einen Partner in die Defensive und dann kommt man nicht voran. Stattdessen etwa zu sagen: ,Ich fühle mich mit dem, was ich alles im Blick behalten muss, überfordert. Das ist mir zu viel. Ich schaffe es nicht, neben meinem Job, diese Aufgaben in dem Maße zu erfüllen, wie ich es für richtig halte, und ich brauche Deine Unterstützung.‘ Idealerweise setzt man sich schon früh zusammen, etwa, wenn man als Paar zusammenzieht, sich für ein Kind entscheidet oder einer von beiden nach der Elternzeit in den Beruf zurückkehrt. Kernfrage ist dann: Wie sollen die Aufgaben in der Familie zukünftig verteilt sein?

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Foto: Copyright Pexels

Wie könnte ein konkretes Beispiel aussehen?

Angenommen, ein Paar erwartet ein Kind. Da fallen ganz viele Themen an, die sich erstmal auf einer Liste sammeln lassen. Dabei sollten nicht nur To-Dos verteilt werden, sondern auch der ganze Prozess. Damit meine ich, dass Planung und Umsetzung mit zur jeweiligen Aufgabe gehören. Auch für ganz banale Dinge wie etwa der Schuhkauf. Das wird einem Partner komplett übergeben. Ohne dass er darauf wartet, dass der andere sagt: ,Mensch, jetzt ist April, ich glaube, wir brauchen mal Sandalen‘, sondern dass er das selbst im Blick hat. Dazu gehört auch, regelmäßig in den Turnbeutel zu gucken, da sind ja auch immer noch Schuhe drin. Die Kinder sagen zwar nichts, nur irgendwann fragt der Sportlehrer, warum die Schuhe nicht mehr passen. Der Partner, der den Schuhkauf übernimmt, sollte die Schuhe der Kinder regelmäßig überprüfen und mit ihnen einkaufen gehen. An diesem Beispiel sieht man, dass schon kleine Aufgaben ganz schön viel Knowhow brauchen und eine Organisiertheit. Das muss man üben.

Sie schreiben auch: Der eine bringt sich mehr ein, der andere lässt mehr los. Was bedeutet das?

Verteilt man um, wäscht und sortiert zum Beispiel der andere die Kleidungsstücke vielleicht nicht exakt so wie man selbst. Und es gehen auch Sachen schief. Die erfahrenere Person sollte dann nicht kritisieren oder sofort einspringen – sondern dem neu Lernenden die Chance geben, eine gute Lösung zu finden und es kurzfristig so hinzubiegen, dass es für alle Beteiligten gut passt. Umgekehrt sollte der Partner den ,Vorsprung‘ des anderen akzeptieren. Es geht nicht darum, einen eigenen Weg zu finden, wenn es doch schon eine gute Lösung gibt. In einem neuen Job würde man sich auch von der Vorgängerin oder dem Vorgänger die beste Vorgehensweise zeigen lassen. Hat man dann die wesentlichen Punkte erfasst, kann man individuell ausgestalten. Und die bisher verantwortliche Person kann loslassen. Falls das alles nicht gelingt, bleibt es für immer bei dieser Hierarchie: Die Frau hat das Gehirn der ganzen Familie und steuert alles. Deshalb ist es so wichtig, Gespräche zu führen, auch für das Klein-Klein. Das hat nichts mit Erbsenzählerei zu tun. Der Familienalltag ist einfach so komplex.

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Schuldgefühle kommen oft noch erschwerend hinzu, wenn man etwas nicht so hinbekommt, wie man es gerne würde. Etwa zur Kita-Feier statt des selbstgebackenen Kuchens einen vom Bäcker mitbringt. Haben Sie hierfür noch einen speziellen Tipp?

Hier gilt es, sich immer erst einmal die Frage zu stellen, wo die Schuldgefühle herrühren. Sind es wirklich Dinge, die mir selbst wichtig sind, oder handelt es sich um gesellschaftliche Normen, die ich erfüllen möchte? Oft fürchtet man in Wirklichkeit eine Beurteilung von außen. Dagegen hilft auch, mit Freundinnen zu sprechen, die meist gar nicht verlangen, dass alles tipptopp aussieht, wenn sie vorbeischauen. Bekommt man wiederum Besuch von der Klischee-Schwiegermutter und die rümpft die Nase, ist es wichtig, dass der Partner sich solidarisiert und sagt: ,Du, für uns ist das nicht so wichtig. Freie Zeit mit den Kindern oder für uns als Paar am Abend ist uns wichtiger.‘ Das Gefühl, diesen Standard gemeinsam zu verkörpern, tut sehr gut. Gerade wegen der Geschlechternormen sollte der männliche Partner das aussprechen. In der Kita wiederum kann die Gemeinschaft beschließen, Allererziehenden nur kleine Aufgaben zu überlassen, wie etwa drei Safttüten mitzubringen, oder sie sogar ganz von bestimmten Pflichten zu entlasten.