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Was eine Taschenlampe mit Selbstwirksamkeit zu tun hat

Während einer stationären Therapie im kbo-Heckscher-Klinikum in Rosenheim gehen Kinder und Jugendliche auch zur Schule – und haben Ferien. Für diese freie Zeit denkt sich der Pflege- und Erziehungsdienst der Station 3 immer ein besonderes Kreativ-Programm aus. Frank Baehrens ist als Hobbyfotograf für Lightpainting zuständig. Neben tollen Bildern entsteht beim Malen mit Taschenlampen auch die Erfahrung der Selbstwirksamkeit.

Die ersten Bilder zeigen noch wackelige Linien und Kreise, die nicht ganz geschlossen sind. Das ginge wohl jedem so, der nie zuvor Formen in die Nacht hinein gemalt hat, mit nichts anderem als dem Strahl einer Taschenlampe. Eine Langzeitbelichtung hält fest, was das Auge nicht sieht. „Die Kinder und Jugendlichen verinnerlichen dann aber sehr schnell, wie es geht“, freut sich Frank Baehrens, Initiator des Sommerferienprojekts „Lightpainting“ am kbo-Heckscher-Klinikum in Rosenheim. Und so finden sich auf den nächsten Motiven Bögen eines „Orbs“, eines Lichtballs, bunte Kreise, Halbkreise und in Licht und Farben getauchte Silhouetten der jungen Künstlerinnen und Künstler.
In diesen Momenten erleben sie sich nicht als Patientinnen und Patienten der Kinder- und Jugendpsychiatrie, sondern als kreative, ideenreiche junge Menschen, die sich trauen, etwas Neues auszuprobieren.

 

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Lightpainting 2

 

 

Kreativität fördert Selbstwirksamkeit

Frank Baehrens ergänzt:

„Sie erfahren sich als selbstwirksam und staunen alle, wie cool ihre Bilder aussehen“

Der Pfleger hat auch die stellvertretende Leitung der Station 3 inne. Hier werden bis zu zwölf Patientinnen und Patienten im Alter zwischen elf und 15 Jahren aufgenommen, die an einer Depression erkrankt sind, an einer Phobie leiden, manchmal an einer Zwangsstörung, häufiger an einer Essstörung wie Magersucht oder Bulimie. Bei ihnen steht nicht mehr die akute Krisenbewältigung im Vordergrund, sondern ihr individueller Weg zurück ins Leben als aktiver, neugieriger und selbstbewusster junger Mensch. Dazu trägt nicht nur die jeweilige Therapie bei. Während ihres oft mehrmonatigen Aufenthalts besuchen die Kinder und Jugendlichen auch direkt auf dem Gelände des Klinikums die angegliederte Schule. So verpassen sie nicht zu viel Unterricht und können sich in kleinen Klassen wieder an einen strukturierten Alltag gewöhnen. Und in den Ferien haben sie die Wahl aus einem umfangreichen Programm. Entwickelt wird es vom Pflege- und Erziehungsdienst aus dem Team der Station 3, zu dem sowohl Erzieherinnen und Erzieher als auch Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger gehören.

„Nicht alle wollen lightpainten oder zumindest nicht nur“, erklärt Frank Baehrens. „Alle Kinder und Jugendlichen haben in den letzten Sommerferien zum Beispiel auch ein Theaterstück geschrieben, dafür geprobt und es schließlich aufgeführt.“ Es gab zudem gemeinsame Kajak- und Tretbootfahrten, Batiken, einen Theaterbesuch und einen selbstorganisierten Brunch. Manches traf auf spontane Begeisterung, beim Lightpainting hingegen waren viele skeptisch.

 

Aus Licht werden Bilder

„Malen mit Licht, wie soll das gehen?“, haben sich die Patientinnen und Patienten gefragt, berichtet Frank Baehrens, „und: Kann ich das denn?“ Mögliche Resultate hatten sie da schon gesehen: Großformatige Hochglanzbilder hängen in den Fluren der Station 3 und machen Lust, der Sache auf den Grund zu gehen. Dass es überhaupt möglich ist, verdanken die Kinder und Jugendlichen Frank Baehrens und seiner Leidenschaft für das ungewöhnliche Hobby. „Früher habe ich gerne Nachtaufnahmen vom Sternenhimmel gemacht“, erzählt der engagierte Pfleger, „das war dann auch schon mal ein Ferienprojekt und dabei entstanden, eher nebenbei, erste Lightpainting-Fotos“. Lichtspuren von Taschenlampen, die durchs Dunkel gehuscht und von der Kamera mit belichtet worden waren. „Zum Teil wurden dort auch schon Schriftzüge oder Symbole gemalt. Von da war es nicht mehr weit zum eigentlichen Lightpainting.“

 

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Lightpainting 3

Professionelle Inspiration dafür holte sich Frank Baehrens bei Olaf Schieche, der als „Zolaq“ auf YouTube einen Lightpainting-Kanal betreibt. Denn es geht nicht nur ums Kreativsein, schon die Utensilien erfordern Erfindungsgeist. „Da gibt’s nichts fertig zu kaufen“, erklärt Frank Baehrens. Zusammen mit ihm schufen sich die Kinder und Jugendlichen, die im Sommer 2021 auf Station 3 waren, ihre eigenen Tools, die überwiegend auch im Sommer 2022 wieder zum Einsatz kamen: Ein Vierkantholz mit darauf befestigtem LED-Band wurde an einer Maler-Teleskopstange befestigt, „so entstand ein Lightpainting-Stick, den die Teilnehmenden frei drehen konnten.“ An der Mittelachse eines Fahrrad-Vorderrades, komplett mit Reifen und Felge, wurde ein Stück Metall befestigt, so dass sich das Rad schief hinstellen ließ. Noch ein LED-Band darauf geklebt, bei Dunkelheit dem Ganzen einen Schubs gegeben und schon entstanden die schönsten Lichtkuppeln, im Fachjargon „Lightdomes“ genannt. Die Kosten für die Materialien wurden wie jedes Jahr von Spendengeldern gedeckt, Frank Baehrens stellte zudem seine private Ausrüstung zur Verfügung, die er für eigene Lightpainting-Werke angesammelt hat.

 

Gestärkt aus der Krise gehen
 

„Für die Kinder und Jugendlichen war das Lightpainting eine ganz besondere Erfahrung“

Seinen Patientinnen und Patienten gefallen vor allem die engelsgleichen Figuren mit Flügeln, die Frank Baehrens „Phoenixe“ nennt. „Ich finde die Symbolik dahinter sehr schön“, erklärt der Pfleger. „In der Heckscher-Klinik lernen die Kinder und Jugendlichen durch ihre Krise hindurch und gestärkt daraus hervorzugehen.“ Für die „Phoenixe“ nutzten seine jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer modifizierte „Lichtschwerter“, an die zusätzlich eine leuchtstarke Taschenlampe montiert wurde. Ideal, um herrliche Flügel in die Nacht zu zaubern. Allein oder auch in der Gruppe: Drei Jugendliche umfuhren sich mit dem Licht mehrfach gegenseitig, so dass es am Ende aussah, als wären sie zu fünft gewesen. Nebenbei war auch das von therapeutischem Wert: sich unter Gleichaltrigen akzeptiert zu fühlen, integriert zu sein und gemeinsam etwas Größeres zu erschaffen.

 „Für die Kinder und Jugendlichen war das Lightpainting eine ganz besondere Erfahrung“, fügt Baehrens an, und dass nicht nur wegen des Malens mit Licht: „Abends im Dunklen, den Mond und die Sterne zu sehen, war ein spezielles Erlebnis. Das hatte seine ganz eigene Magie. Wir waren insgesamt neun Mal in Kleingruppen beim Lightpainten, davon sechs Mal am nahegelegenen Simssee. Da gibt es einen malerischen Steg, der macht auch optisch was her.“ Am Ende des Projekts erhielten alle beteiligten Kinder und Jugendlichen fünf ihrer eigenen Bilder als große, farbige Hochglanzabzüge. Wenn es Zeit ist, die Station 3 zu verlassen und das eigene Leben wieder ganz aufzunehmen, werden die leuchtenden Bilder die ehemaligen Patientinnen und Patienten begleiten. Als Erinnerung und Mutmacher.

 

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Lightpainting 4

 

© Copyright für alle Bilder: Die Kinder und Jugendlichen von Station 3.